Sogar Ante Gotovina stimmte für den EU-Beitritt. Als der ehemalige General im Frühjahr 2011 vom Kriegsverbrechertribunal verurteilt wurde, setzten viele Kroaten Den Haag und Brüssel gleich und gaben an, gegen den Beitritt stimmen zu wollen. Ein paar Monate später stimmten sie nun mit großer Mehrheit dafür. Und Gotovina sagte, dass Kroatien eben "zivilisatorisch dorthin gehöre" .

Nun ist wohl nicht anzunehmen, dass der Mann, der für die Vertreibung der Serben aus der Krajina verantwortlich ist, für jene zivilisatorischen Werte wirbt, die ihn hinter Gitter gebracht haben. Vielmehr sieht Gotovina wie andere wohl im Beitritt die Möglichkeit, sich vom "Balkan" und Jugoslawien zu distanzieren, was natürlich weder der Sinn des Reformprozesses war, noch so wirklich gelingen kann.

Als die Kroaten vor beinahe 21 Jahren ihr erstes Referendum abhielten und für den Austritt aus Jugoslawien stimmten, waren manche allerdings von einem ähnlichen Gefühl geleitet. Damals war das Land - die Serben boykottierten die Abstimmung - gespalten und stand vor dem Krieg. Heute ist nicht nur die Rhetorik anders. Kroatien ist wohl das schönste Beispiel dafür, wie sehr die Aussicht auf den EU-Beitritt ein Land verändern kann:Die kroatischen Nationalisten sind marginalisiert, einige Kriegstreiber und Kriegsgewinnler sitzen im Gefängnis, Zagreb ist heute der Motor der Aussöhnungspolitik in Ex-Jugoslawien.

Und auch wenn das kleine Land noch einem Monitoring der EU-Kommission (Justiz und Wettbewerb) unterliegt, so wird immerhin einem korruptionsverdächtigen Expremier der Prozess gemacht. Man kann sogar annehmen, dass viele Kroaten am Sonntag nicht zur Abstimmung gingen, weil sie es einfach nicht für notwendig hielten, wo sie sich doch ohnehin im Zentrum Europas wähnen. Für die Kroaten ist der Beitritt zur EUja nicht der Zugang zum langersehnten Paradies, wie dies für viele Bulgaren oder Rumänen der Fall war, sondern vielmehr die größte Selbstverständlichkeit der Welt.

Dennoch zeigt die geringe Beteiligung - knapp 44 Prozent - eine grundsätzliche Missachtung des Politischen. Die Beteiligung ist in Kroatien auch bei Wahlen nicht viel höher. Deshalb wurde vorsorglich die Verfassung geändert und eine Mindestbeteiligung beim Referendum gestrichen. Die Ablehnung sitzt tief. Institutionen, europäischen wie nationalen, wird grundsätzlich misstraut, Politiker werden pauschal für korrupt gehalten. Dass Kroatien mitten in der größten Krise der EU beitreten soll, verschärft die Verunsicherung. Doch diese wurzelt auch in dem Bewusstsein, dass die nationale Wirtschaft schwächelt. Arbeitslosigkeit und Schulden sind hoch, Privatisierungen stehen bevor. Weshalb also Begeisterungsstürme?

Die letzte Etappe vor dem Beitritt im Juli 2013 wird nicht leicht werden, der Weg bisher war schon voller Hürden (die Gotovina-Auslieferung 2005, der Grenzstreit mit Slowenien). Hier kommt kein Juhu-Kandidat in die EU, sondern ein Land voller ernüchterter Bürger. Auch die Idee von der Abgrenzung vom Balkan wird wohl nicht aufgehen. Erfreulicherweise nutzte Brüssel nun die Gelegenheit, Kroatien als Impulsgeber für den Beitritt der anderen südosteuropäischen Staaten darzustellen. Das schafft Vertrauen, das nicht nur notwendig ist, um in diesen Ländern Reformschübe wie in Kroatien zu ermöglichen, sondern zeigt auch das Selbstvertrauen, dass die EU noch immer Anziehungskraft besitzt. (DER STANDARD, Printausgabe, 24.1.2012)