Erich Streissler: "Es gibt viel zu große Ersparnisse und viel zu wenig Investitionsmöglichkeiten."

Foto: derStandard.at/Sussitz

Rund 150 Leute besuchten den von der Österreichischen Hochschülerschaft (ÖH) organisierten Vortrag.

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Erich Streissler ist mit seinen Wirtschaftsprognosen berühmt geworden. Gerade dieser Umstand lässt ihn aber Respekt vor Vorhersagen üben. "Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist der Euro aber zukunftsfähig", meint der emeritierte Professor für Ökonomie und Statistik. Die Wirtschaftskrise macht ihm Sorgen, die europäischen und die amerikanischen Banken würden nicht die gleichen Interessen vertreten. Zudem sei es ein Dilemma, dass der an sich gute Reformdruck gerade in konjunkturell schweren Zeiten massive Sparmaßnahmen mit sich bringe, sagte Streissler in seinem Vortrag an der Universität Wien am Montag.

"Es gibt viel zu große Ersparnisse und viel zu wenig Investitionsmöglichkeiten", so Streissler. Vor allem die Chinesen mit ihren riesigen Ersparnissen würden für gigantischen Investionsdruck sorgen. Das sei auch eine der Erklärungen für die Immobilienblase, die 2007/2008 geplatzt ist. Für den 78-Jährigen hat die Politik das Ihre dazu beigetragen. Der vormalige US-Präsident Bill Clinton habe mit seinem in den 1990er-Jahren formulierten Ziel "Jeder Amerikaner soll sein Haus haben" die Banken dazu verleitet, nahezu grenzenlos Kredite zu vergeben.

Geld im Überfluss, des Kleinen Verdruss

Die folgenden Bankenrettungen und der für einenhalb Jahre abgewürgte Weltkonjunkturmotor hätten nun die Verschuldung vieler Staaten in die Höhe getrieben. "Die Vernichtung der Ersparnisse durch Budgetdefizite ist besonders stark", meint Streissler. Trotzdem gehe den Ländern das Geld nicht aus. Italien werde immer an sein Geld kommen, wenn auch mit hohen Zinsen. Die nunmehr sanierten Banken würden das der Finanzierung von Unternehmen und Verbrauchern vorziehen. Ein Beleg dafür: Normalerweise ziehe eine ernorme Erhöhung der Geldmenge, wie sie in den letzten Jahren durch die US-amerikanische Notenbank Federal Reserve und die Europäische Zentralbank (EZB) erfolgt ist, eine hohe Inflation nach sich. Tue sie aber nicht, weil dieses Geld "nie aus den Banken hinausgekommen" sei. Weh tue das vor allem den neuen und kleinen Unternehmen: "Die Großen finanzieren sich zu weiten Teilen selbst."

Airbag für die US-Finanzindustrie

Kein gutes Haar lässt Streissler an den US-Banken. Wirtschaftskrisen und Staatsbankrotte hätten sich immer um die Frage gedreht, wer staatlich geschützt und wer zur Kasse gebeten wird. In den USA seien es 2008 - anders als in der Wirtschaftskrise der 1930er-Jahre - zum "ersten Mal die Banken" gewesen, denen man Schutz angedeihen ließ. Nachdem man in der Pleite der Großbank Lehman Brothers ein Bauernopfer gesehen habe, seien Goldman Sachs und Co. mit geldpolitischen Mitteln am Leben erhalten worden. Dass sowohl der US-Finanzminister unter George W. Bush, Hank Paulson, als auch jener unter Barack Obama, Timothy Geithner, gute Verbindungen zu Goldman Sachs haben, habe einen Airbag für die Finanzindustrie bedeutet: "Wenn sie genügend politische Positionen haben, werden sie sehen, dass man in einer Krise ganz gut auskommt." Die europäischen Banken hingegen seien durchaus zur Kasse gebeten worden.

Die nun erstärkten US-Banken würden auch noch gegen den Euro spekulieren. "Herunterreden, kaufen, verkaufen. Wenn man das fünf bis sieben Mal im Jahr macht, hat man eine hervorragende Rendite", so Streissler. Es gehe eben um individuelle Gewinne von Leuten, die "angefüttert mit Dollar und Pfund" seien.

Reform und Druck gehören zusammen

Über den durch die Eurokrise ausgelösten Reformdruck zeigt sich Streissler hingegen erfreut. Die Griechen wollten schon seit 20 Jahren "mehr Zeit für Reformen" haben, da helfe nur der Druck von außen. Er befürwortet auch die rigiden Kriterien des Internationalen Währungsfonds (IWF), der vielen Politikern nicht genehm sei. Mit Italien, dessen Zinsen sich im Laufe eines Jahres nahezu verdoppelt haben, hat der Ökonom aber ein gewisses Mitleid. In einer Zeit der konjunkturellen Abschwächung zu sparen sei "ungünstig". Die Einschnitte hätten vorher und schneller erfolgen müssen.

Von einer Wirtschaftsregierung inklusive Fiskalunion als Allheilmittel für die Eurokrise hält Streissler derweil nichts. "Das ist Frankreich", meinte er im Hinblick auf den langjährigen Fokus der Franzosen auf die Fiskalpolitik. "Merkel (deutsche Kanzlerin, Anm.) will aber nicht", betonte der Ökonom, der damit gut leben kann: "Die Notwendigkeit dafür ist weder historisch noch logisch gegeben." (sos, derStandard.at, 24.1.2012)