Gestern Abend war ich zu Gast bei Thomas Gottschalk. Das ist ein Entertainer, der in einem Schloss wohnt und goldenes Haar auf dem Haupt trägt. Unsere Unterhaltung wurde alle fünf Minuten von einem Werbespot unterbrochen. Zum Glück! Denn so hatte ich Zeit, mich ein bisschen umzusehen. Da hängt doch tatsächlich oben links (!) neben dem Bücherregal: Che Guevara.

Jetzt hängt Che auch bei Gottschalk

Ich frage mich seit Jahren, weshalb alle Studenten, die im Club was aufreißen wollen, ein Che-T-Shirt tragen. Aber weil er jetzt sogar bei Gottschalk hängt, google ich flugs nach und lerne, dass der Revoluzzer ein Fan vom Sowjet-Kommunismus war!

Der Kommi-Che also in einer Dauerwerbesendung präsentiert von Deutschlands teuerstem Showmaster - der Kapitalismus ist eben eine allseits einnehmende Veranstaltung. Sogar die DDR-Bonzen sind auf West-Produkte abgefahren.

Nun hat jedoch der Gründer des Kapitalisten-Treffs in Davos gesagt: So wie er ist, passt der Kapitalismus nicht mehr zu unserer Welt. Leuchtet ein. Er kennt nämlich keine Rücksicht auf einer Welt, die immer enger wird, immer schmutziger, immer ärmer. Nur: Wie weiter? Was kommt danach?

Ich habe schon seit Längerem den Eindruck, dass die Wirtschaftswissenschaften auf die gegenwärtige System-Krise keine Antwort haben. Ich hatte immer gedacht, dass es Gesetzmäßigkeiten gibt, mit denen sich "der Markt" erklären lässt. Doch wer genauer hinschaut, weiß relativ schnell, dass dieser ominöse "Markt" genau so unberechenbar ist wie eben der Mensch, er ihn macht.

Zwischen den Jahren habe ich das Buch "Eine solidarische Leistungsgesellschaft" von Erhard Eppler gelesen und dann den Fehler gemacht, in einer Kneipe darüber zu reden. "Jetzt wird er schulmeisterlich", nölte das Pils und wendete sich angewidert ab. Dabei stellt Eppler die entscheidende Frage: Wie macht man aus einer Erfolgsgesellschaft, die sich als Leistungsgesellschaft ausgibt, eine Leistungsgesellschaft, deren Erfolg für alle spürbar wird?

Unser Grundproblem ist, dass die Sorge über die Wirtschaft die Sorge über unsere Gesellschaft ersetzt hat. Unser Fokus ist längst nicht mehr die Gesellschaft: die Art und Weise, wie 80 Millionen Menschen in Frieden, Freiheit, Gerechtigkeit gemeinsam in diesem Land leben können - und vom Lohn ihrer Arbeit überleben können. Sondern unser Fokus sind "die Märkte".

Die Sorge von Bundespräsident Wulff ist ja, ob er in einem Land leben will, in dem sich Politiker von Lobbyisten Beträge leihen können, von denen manche Familien länger als zehn Jahre leben müssen.

Die Schere klafft immer weiter auseinander

Seine Sorge sollte eher sein, was in zehn Jahren in einem Land los ist, in dem die Schere zwischen arm und reich, zwischen dumm und exzellent ausgebildet, zwischen fett und gesund immer weiter und dramatischer auseinandergeht. Und das ist noch nicht mal die globale Sicht der Dinge.

Klingt das zu staatstragend? Ja, es liegt schwer im Magen. Bleibt die Frage, was denn nach gescheitertem Sozialismus und scheiterndem Kapitalismus kommen kann? Wie wäre es mit der sozialen Marktwirtschaft? Wir haben sie leichtfertig und ohne Not aufgegeben. Jetzt muss uns was einfallen. (Wolf-Christian Ulrich, derStandard.at, 24.1.2012)