Dromedare bewegen sich merkwürdig. Es sieht aus, als liefe jeder Körperteil einzeln, als wollten die Hinterbeine die Vorderbeine überholen, ohne dabei ausreichend zu beschleunigen. Wüsste man nicht genau, dass es diese Tiere gibt, man würde ihre Existenz bestreiten. Zu kurios sehen sie aus, zu sehr, als stammten sie nicht von diesem Planeten oder wären die computeranimierte Erfindung eines Filmemachers aus Hollywood, der gerne ein bisschen lieber Gott spielt und Eigenkreationen beiläufig durchs Bild wanken lässt.
Was am Rande der südtunesischen Oase Douz ein paar Mal täglich über die Saharadünen schaukelt, ist echt. Riecht streng. Kann markerschütternd grunzen. Kann die Lefzen hochziehen, dass man nicht weiß, ob man angelächelt oder für ein vegetarisches Grundnahrungsmittel gehalten wird und in Kürze zwischen den dicken Zähnen durchgemalmt werden soll. Die unfreundliche Begrüßung gehört dazu. Tatsächlich sind Dromedare friedlich und geduldig. Sie sind widerwillig - oder freundlicher gesagt: eigensinnig -, zumindest jene von Douz.
Zusammen mit Herrchen warten sie dort auf die Ausflugsbusse mit den Urlaubern von der Küste, wo der Asphalt aufhört und das Geheimnis beginnt. Die Zeit der Salzkarawanen, der wochenlangen Reisen auf unsichtbaren Pfaden von Quelle zu Quelle durch die Tiefen der Sahara, als der Weg erst im Gehen entstand - diese Zeit haben die Dromedare von Douz nicht mehr miterlebt. Und die meisten ihrer Herrchen auch nicht.
Gemeinsam warten sie heute lebenslänglich auf Urlauber, die einen zweitägigen Ausflug von den Strandhotels aus in die Wüste gebucht haben und hier die Chance geboten bekommen, einmal auf dem Rücken eines Dromedars ein paar hundert Meter weit durch die Sahara zu reiten. Einmal zum Wellenreiten im Bahhr bela mar. So nennen die Beduinen diese Landschaft: Meer ohne Wasser.
Herrchen ist dafür da, die Fremden zum "richtigen" Dromedar zu führen. Richtig ist nur seines. Die anderen Herrchen sehen das genauso, und deshalb übertreffen sie sich gegenseitig im Werben um Aufmerksamkeit, Gunst und Obolus der Fremden aus den Ausflugsbussen, die auf dem Parkplatz am Ende der Straße für eineinhalb Stunden stranden.
Ewiger Ausgleich
Auf sich einzeln fortbewegenden Körperteilen würde man normalerweise nicht reiten. Im Urlaub versucht man es trotzdem, weil man sieht, wie gut andere das können, die mit Dromedaren aufgewachsen sind. Sie beherrschen die Kunst der permanenten Gewichtsverlagerung, des ewigen Ausgleichs aller Schritte ihres Reittiers perfekt, und eigentlich sieht es gar nicht schwierig aus. Sie haben es geschafft, im Meer ohne Wasser nicht seekrank zu werden.
Wer ein paar Dinar an eines der Herrchen bezahlt hat, klettert kurz darauf mutig auf den Sattel des kauernden Dromedars, setzt sich so breitbeinig wie möglich hin, klammert sich an den Holm - richtig - oder an den Hals des Tieres - falsch - und wartet, dass das Wüstenschiff ablegt. Das grunzt so oder so eine schallende Unwillensbekundung in die hitzeflirrende Luft: teils aus eigenem Protest, teils um den Artgenossen zu antworten, die es gerade ebenso vorgemacht haben.
Hinterteil zuerst
Herrchen baut sich währenddessen vor seinem braven Saharaklepper auf, schnalzt und zischt ein paar Laute, die offenbar Kommandos sind, und der ebenso brave Urlauber antwortet kurz darauf mit einem spitzen Schrei. Das tut er deshalb, weil das Ablegemanöver ebenso unvermittelt wie in der Form unerwartet begonnen hat. Das Dromedar erhebt sich mit dem Hinterteil zuerst und befördert seinen Passagier in bedenkliche Schräglage, ehe sich die Vorderbeine entschließen, auch aufzustehen und das Tier wieder in der Waagerechten auszubalancieren.
Geht es endlich vorwärts, hat man den Eindruck, jedes Bein hätte einen eigenen Willen und keines würde seine Bewegungen mit irgendeinem anderen abstimmen. Im steten Wechsel scheint das Dromedar an vier unterschiedlichen Stellen für kurze Momente wegzusacken. Das launige Wüstenschiff schafft es, im Ballerinagang Windstärke zehn zu simulieren.
Unter den Passagieren gibt es den Typus des Klammerers, der in solchen Momenten den Hals des Tieres packt, was wiederum lautes Grunzen und eine hektische Kopfbewegung zur Folge hat und dem Gleichgewicht nicht förderlich ist, weil die Gegenbewegung zwangsläufig folgt. Der reflektiertere Klammerer umfasst mit beiden Händen den Sattelknauf und macht damit instinktiv schon ziemlich viel richtig. Der Typus des Ruderers hat keine Kapazitäten zum Festhalten frei. Er braucht beide Arme als raumgreifende Ausleger, um den eigenen schwankenden Oberkörper auszutarieren.
Die Grundmuster "Klammerer" und "Ruderer" sind nur auf den ersten fünfhundert Metern zu beobachten. Danach verschmelzen beide Bewegungsvarianten bei reduzierter Hektik und heruntergefahrenem Adrenalinspiegel zu einem gemächlichen Schwanken analog zu den Bewegungen des Tieres, das mittlerweile das Grunzen eingestellt hat. In diesen Momenten kann man wahlweise die Zügel selbst in die Hand nehmen oder sie weiter Herrchen überlassen, das sein langsam wankendes Dromedar im Schritttempo begleitet hat.
Die meisten entscheiden sich für Variante zwei, zumal niemand ausschließen kann, dass das treue Höckertier sich im anderen Fall eigensinnig zum Marsch auf Timbuktu hinreißen lassen und bei der Verwirklichung dieses Planes kurzzeitig das Tempo so beschleunigen könnte, dass Herrchen zu Fuß nicht mehr hinterherkäme. Man wäre auf sich gestellt - will sagen: auf das Dromedar -, müsste für ungewisse Zeit das volle Gewicht der Sonne auf Nacken und Schultern tragen und würde in fremder Umgebung eine Extremsportart praktizieren müssen, die (Über-) Leben heißt. Wenn man die Wahl hat: dann lieber nicht. Kurzstrecke reicht auch. Eine Stunde, Herrchen immer in der Nähe, dann wieder zum Bus und danach zurück zum Strandhotel.
Dabei haben auf dem Rücken eines Dromedars große Träume Platz, jene von endloser Weite, von neuen Herausforderungen, vom Ausbruch aus dem heimischen Alltag. Was mag sich hinter der Düne am Horizont befinden, wie weit mag es bis zur nächsten Oase sein? Und wäre es nicht doch schön, einfach mal bis Timbuktu zu schaukeln?
Allein der Klang: Eben löste er noch Ängste aus, plötzlich hat er etwas. Auf dem Rückweg fragen viele in der kleinen Touristenkarawane, ob die Herrchen ihnen nicht doch noch die Zügel geben könnten. Nur kurz. Einmal ausprobieren. Sie lächeln, wenn sie sie in den Händen halten, sitzen plötzlich kerzengrade im Sattel. Und hoffen, dass ihr Dromedar doch noch durchbrennt - mindestens bis hinter die nächste Düne, und wenn es Spaß macht, dann einfach weiter, bis hinter den Horizont. (Helge Sobik/DER STANDARD/Printausgabe/21.1.2012)