Wien - Der frühere langjährige deutsche Außenminister Hans Dietrich Genscher glaubt fest an eine helle Zukunft für die Europäische Union und die Gemeinschaftswährung Euro. Es gebe nämlich eine "Grundregel, dass Europa aus jeder Krise gestärkt hervorgeht", sagte Genscher am Dienstag vor Journalisten in Wien. "Das wird auch diesmal so sein. Deshalb bin ich zuversichtlich." Nun gehe es darum, die Wirtschaftspolitik in der EU stärker abzustimmen, wie dies ohnehin schon im Maastricht-Vertrag vorgesehen gewesen sei.

Zwar benötige die EU "noch harter Anstrengungen, um die Folgen der Krise zu überwinden", doch sei "aus dem Patienten schon ein Rekonvaleszent geworden", sagte Genscher. Er war als deutscher Außenminister (1974-92) einer der Architekten der mit dem Maastricht-Vertrag begründeten Europäischen Union, die eine gemeinsame Währung für die Mitgliedsstaaten vorsah. Dies sei eine "kühne Idee" gewesen, doch habe der Binnenmarkt eine gemeinsame Währung benötigt. "Wenn wir uns in zehn Jahren wieder treffen, werden wir die Anreise mit Euro bezahlen, und die Abreise auch", sagte Genscher, der in der österreichischen Hauptstadt mit zahlreichen Wirtschaftsführern und Spitzenpolitikern am "Wiener Kongress com.sult" teilnimmt.

Als man mit der Währungsunion begonnen habe, sei "jedem klar" gewesen, dass man eine stärkere Koordinierung der Wirtschaftspolitik brauche. "Heute verstehen wir es noch besser, wie wichtig das ist", sagte Genscher. Daher mahne er dazu, "dass wir in der Abstimmung sehr viel weiter gehen müssen". Genscher zeigte sich diesbezüglich auch zuversichtlich, dass auch das beim EU-Fiskalpakt abseits stehende Großbritannien wieder ins Boot geholt werden könne. Das Nein des britischen Premiers David Cameron zum Fiskalpakt sei nämlich im eigenen Land "keineswegs enthusiastisch begrüßt" worden. "In England hat längst ein Prozess des Nachdenkens eingesetzt. (... ) Ich bin überzeugt, der Weg in die EU ist für England umumkehrbar, es haben nur noch nicht alle englischen Politiker gemerkt", sagte Genscher, der zugleich betonte, dass er "nichts" vom Begriff Kerneuropa halte. "Ich bin der Meinung, dass wir offen sein müssen für alle Länder."

Zur deutschen Führungsrolle bei den Krisenbekämpfungsaktivitäten sagte Genscher, dass Deutschland als größtes EU-Land eine besondere Verantwortung habe. "Deutschland bemüht sich darum, Europa wieder auf einen Stabilitätskurs zu führen, der notwendig ist, das Vertrauen der Märkte in die gemeinsame Währung zu stärken", sagte der FDP-Ehrenvorsitzende. "Ich halte es für einen großen Pluspunkt, dass Deutschland und Frankreich in dieser Krise so eng zusammenarbeiten." Wenn Berlin und Paris kooperierten, dann sei das "immer gut für Europa" gewesen, erinnert sich der langjährige Chefdiplomat. Allerdings wäre es gut, wenn diese enge Kooperation um Polen erweitert würde. Polen sei nämlich heute "ein Wirtschaftsmotor der EU" und repräsentiere auch jene Länder, "die früher zum sowjetischen Machtbereich gehörten".

Angesichts des Rundumschlags der Ratingagentur Standard & Poor's gegen EU-Staaten sprach sich Genscher für die Schaffung mehrerer europäischer Ratingagenturen aus. "Es kan nicht richtig sein, dass die Ratingagenturen, die den Ton angeben bei der Bewertung, alle in der selben Stadt ansässig sind und aus demselben Blickwinkel eines anderen Währungsgebietes die Sache einschätzen", kritisierte Genscher. "Gerade Agenturen mit einer solchen Bedeutung für die künftige Entwicklung dürfen kein Meinungsmonopol haben." Europäische Ratingagenturen könnten auch dazu beitragen, dass die US-Institute transparenter werden. Ihr Mangel sei nämlich, dass man nicht wisse, wem sie gehören und welche Interessen sie vertreten. (APA)