Arbeitsteilung ist nicht nur ein Merkmal menschlicher Gesellschaften, sie ist auch zwischen den Bausteinen biologischer Organismen allgegenwärtig und gilt als eines der wichtigsten Resultate der Evolution. Und dennoch gibt es heute noch Organismen, die ohne Arbeitsteilung auskommen und zum Beispiel aus nicht spezialisierten Zellen bestehen. Wiener Wissenschafter haben nun in einem mathematischen Modell die Grundbedingungen untersucht, unter denen Arbeitsteilung entstehen kann. Ihre Arbeit ist in der Wissenschaftszeitschrift "PNAS" erschienen.

Tiere oder Pflanzen bestehen üblicherweise aus gleichartigen Bausteinen oder Modulen, etwa den Zellen. Diese sind aber oft nicht identisch, sondern unterscheiden sich in Form und Funktion. So sind verschiedene Pflanzenorgane wie Staubblätter, Fruchtknoten oder Laubblätter nichts anderes als modifizierte Blätter. Bei höheren Lebewesen bestehen alle Gewebe aus Zellen, aber es gibt z.B. Nieren- und Leberzellen. In solchen Organismen arbeiten also verschiedene Spezialisten zusammen. Dieser modulare Aufbau und die Möglichkeit zur Arbeitsteilung ist ein weit verbreiteter evolutionärer Trend.

Dennoch gibt es auch nach Milliarden Jahren Evolution noch immer viele Organismen von niedriger Komplexität, in denen mehrere identische Module gemeinsam mehr als eine Aufgabe erledigen. So bestehen einige Grünalgen aus mehreren Dutzend undifferenzierten Zellen. Jede davon trägt sowohl zur Ernährung als auch zur Fortbewegung und Fortpflanzung der Kolonie bei.

Grundbedingungen für die Arbeitsteilung

Die Biomathematiker Claus Rueffler und Joachim Hermisson von der Universität Wien und der Evolutionsforscher Günter Wagner von der Yale University in New Haven (US-Bundesstaat Connecticut) haben mit Hilfe eines mathematischen Modells untersucht, unter welchen Bedingungen Arbeitsteilung zwischen den Bausteinen eines Organismus entstehen kann bzw. wann eine solche Differenzierung nicht zu erwarten ist. Sie haben sich dabei auf Aspekte konzentriert, die allen Beispielen von Arbeitsteilung gemeinsam sind, um so Grundbedingungen dafür ableiten zu können.

Die Forscher können damit die Frage beantworten, unter welchen Bedingungen ein aus verschiedenen spezialisierten Modulen bestehender Organismus einem aus undifferenzierten gleichartigen Modulen aufgebauten Lebewesen überlegen ist. Dabei zeigt sich, dass "die Bedingungen, unter denen differenzierte Organismen überlegen sind, erstaunlich restriktiv sein können", so Rueffler. Als Hauptgrund sehen die Forscher die üblicherweise hohen Kosten: so führt die Spezialisierung eines Moduls für eine bestimmte Aufgabe in der Regel zu einer stark verminderten Leistungsfähigkeit für andere Aufgaben. Zudem droht bei arbeitsteilig organisierten Organismen der Totalausfall der Funktion, wenn ein spezialisiertes Modul beschädigt wird oder ausfällt.

Synergistische Effekte

Warum ist im Laufe der Evolution dennoch Arbeitsteilung entstanden? Als einen möglichen Faktor nennen die Forscher "synergistische Effekte". "Das ist dann der Fall, wenn das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile", so Rueffler, der als konkretes Beispiel Blaualgen nennt. Diese betreiben üblicherweise Photosynthese, benötigen also Sauerstoff. Unter Abwesenheit von Sauerstoff können sie Luftstickstoff binden. In isoliert lebenden Blaualgen wechseln sich diese Prozesse zeitlich ab. Blaualgen können aber auch fadenförmige Kolonien bilden, in denen sich spezialisierte Zellen abwechseln die entweder Luftstickstoff fixieren oder Photosynthese betreiben. Sie können dann ihre Stoffwechselprodukte - Stickstoff und Kohlenhydrate - austauschen.

Auf der anderen Seite gibt es "offensichtlich Rahmenbedingungen, unter denen ein undifferenzierter Generalist schlichtweg besser fährt", so Rueffler. Die Idee, dass im Laufe der Evolution immer alles komplexer werden muss, habe man ohnedies schon lange zu den Akten gelegt. (APA, red)