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Symbolfoto Medikamente.

Foto: APA/Heiko Wolfraum

London/Wien - Gleich mehrere Todesfälle sind - vor allem in den USA - nach der Erstanwendung des derzeit neuesten Mittels gegen schubförmig verlaufende Multiple Sklerose registriert worden. Jetzt untersucht die Europäische Arzneimittelagentur die Situation.

Fingolimod ("Gilenya") wurde nach dem zentralen Verfahren zugelassen und bisher in zehn europäischen Mitgliedstaaten, darunter auch Österreich auf den Markt gebracht. "Der Europäischen Zulassungsbehörde (European Medicines Agency, EMA) wurden Berichte im Dezember 2011 über insgesamt vier Todesfälle mit derzeit ungeklärter Ursache aus den USA bekannt, die innerhalb kurzer Zeit nach (z.T. erstmaliger) Einnahme von Gilenya auftraten, zur Kenntnis gebracht. Inzwischen wurden sechs weitere Todesfälle ungeklärter Ursache sowie drei Fälle fataler Myokardinfarkte und ein Todesfall aufgrund von Herzrhythmusstörungen bekannt", hieß es am Dienstag in einer Aussendung der AGES (Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit).

Problematischer Therapiebeginn

In den Zulassungsstudien des Arzneimittels seien keine plötzlichen oder ungeklärten Todesfälle angeführt. Der Beginn der Therapie mit Gilenya könne jedoch mit einem vorübergehenden Abfall der Herzfrequenz und Rhythmusstörungen in Zusammenhang gebracht werden. Die AGES weiter: "Die Studiendaten zeigen aber, dass sich die Herzfrequenz in der Regel im Laufe des ersten Therapiemonats normalisiert und dass die Überleitungsstörungen ohne weitere Behandlung innerhalb von 24 Stunden abklingen." Das sei aber auch in den Fachinformationen enthalten.

Die aktuelle Fachinformation des Präparates führt diese Effekte an und weist darauf hin, dass Patienten hinsichtlich Anzeichen auf Bradykardie zu überwachen sind. Als Teil des Risiko Management Plans stellt der Zulassungsinhaber entsprechendes Informationsmaterial zur Verfügung. Jetzt soll die Sachlage von der EMA noch einmal analysiert werden.

Medikamente, die Akutphasen verhindern

Während akute Schübe seit Jahrzehnten mit Cortison behandelt werden können, gibt es erst seit 1993 Beta-Interferon zur regelmäßigen Injektion, um solche Akutphasen überhaupt zu verhindern. Später kam die Substanz Glatirameracetat (Injektion) hinzu. Karl Vass von der Universitätsklinik für Neurologie der MedUni Wien am AKH: "Das reduziert die Schubrate um 20 bis 30 Prozent. 20 bis 30 Prozent der Patienten verschlechtern sich auch weniger."

Für Kranke, bei denen diese Therapien nicht oder nicht ausreichend wirken, gibt es seit 2006 auch den monoklonalen Antikörper Natalizumab. Das Medikament hemmt aktivierte Lymphozyten am Überschreiten der Blut-Hirn-Schranke - im Gehirn können sie dann die gefährlichen Entzündungsherde mit Schädigung der Isolierschichten der Nervenzellen (Myelin-Scheiden) hervorrufen. In seltenen Fällen hat das Arzneimittel auch schwere Nebenwirkungen.

Neuer Wirkstoff Fingolimod

Dann kommt mit dem neuen Wirkstoff in Tablettenform eine neue, alternative Strategie gegen "die Krankheit der 1.000 Gesichter mit 1.000 Therapieversuchen" (Vass). Der Vorstand der Universitätsklinik für Neurologie der MedUni Graz, Franz Fazekas: "Fingolimod fängt aktiv die aktivierten Lymphozyten in den Lymphknoten." Das erfolgt durch die Besetzung eines Rezeptors, welcher ein Signal für das Auswandern der Immunzellen ins Blut setzt. Das Medikament war ehemals als potenzielles Mittel zur Verhinderung der Abstoßungsreaktionen nach Organtransplantationen in Entwicklung - bis man auf die Anwendung bei der MS stieß.

Laut groß angelegten Studien dürfte das neue Medikament sogar etwas wirksamer als die bisher bekannten sein. Berger: "Die jährliche Schubrate verringerte sich (im Vergleich zu Placebo, Anm.) um 50 bis 60 Prozent." Progressionsfrei, was dauernde Behinderung betraf, blieben unter Placebo innerhalb von zwei Jahren 75,9 Prozent der Probanden, unter den wirklich Behandelten hingegen um die 82 Prozent.  (APA)