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Unzufriedene stürmen die Büros des Nationalen Übergangsrats in Bengasi.

Foto: REUTERS/Esam Al-Fetori

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Grafik: APA

Tripolis - Unzufriedene stürmen die Büros des Nationalen Übergangsrats (NTC) in Bengazi, dessen Vorsitzender Mustafa Abdul Jalil vor "Bürgerkrieg" warnt, Gaddafi-Anhänger erobern kurzfristig ihre Hochburg Bani Walid zurück: Die relative Abwesenheit Libyens von der aktuellen "Arabischen-Frühling"-Berichterstattung wurde am Montag abrupt beendet.

Seit der Regierungsbildung, die Ende November durch die Verhaftung von Saif al-Islam al-Gaddafi Auftrieb erhielt, war es in den Medien eher ruhig geworden um Libyen. Zwar wurden vereinzelte Auseinandersetzungen, auch bewaffnete, innerhalb der "Exrebellen", wie sie noch immer genannt werden, gemeldet, aber meist als spontane "lokale Ereignisse" ohne ernsthaftere Hintergründe qualifiziert, wie zuletzt vom früheren NTC-Koordinator Guma al-Gamaty bei einer Libyen-Diskussion im Bruno-Kreisky-Forum in Wien.

Das mag stimmen, diese lokalen Ereignisse summieren sich jedoch und sind ein Symptom für die schwierigen Voraussetzungen, unter denen Libyen seine Transition antritt. Zu den Rivalitäten unter den revolutionären Kräften kommen deren Spannungen mit dem NTC, der als abgehoben und intransparent kritisiert wird.

Libyen hat institutionell so gut wie nichts, auf dem ein politisches System aufgebaut werden könnte. Der vom NTC festgelegte politische Fahrplan spießt sich nach der schwierigen Regierungsbildung soeben wieder bei der für diese Woche geplanten und verschobenen Verabschiedung des Wahlgesetzes (mit dem das Übergangsparlament gewählt werden wird, das dann die Verfassung schreibt, unter der 2013 ein erstes verfassungsmäßiges Parlament gewählt werden soll).

Gestritten wird unter anderem über die im Entwurf vorgeschriebene Frauenquote von zehn Prozent, das Verbot der doppelten Staatsbürgerschaften für Kandidaten und eine "Antrittsgebühr". Ein Faktor, der entscheidend dafür ist, in welcher Stärke Städte und Lokalitäten im Parlament vertreten sein werden, wird in diesem Gesetz noch ausgespart und wird für Debatten in der Zukunft sorgen, sagt Wolfram Lacher von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin zum Standard: Das Ziehen der Wahlbezirke soll der Wahlkommission überlassen werden, hat der Übergangsrat entschieden.

Zwar ist die Frage, wie welcher Ort für seinen jeweiligen Beitrag an der Revolution honoriert werden soll, durch die Bildung eines vorwiegenden Technokratenkabinetts unter dem Elektroingenieur Abdurrahim al-Kib in den Hintergrund getreten. Aber dass dieses Thema für die Städte und Stämme nicht abgeschlossen ist, zeigen die Rivalitäten der einzelnen lokalen Gruppen. In Bengazi, wo am Montag die NTC-Büros gestürmt wurden, wird dem Rat vorgeworfen, sich nicht genügend von der alten Garde zu distanzieren. Bengazi war bekanntlich die Stadt, in der der Aufstand gegen Muammar al-Gaddafi begann - aber ohne die Regimeüberläufer, die den NTC gründeten, wäre er schwerlich in die Gänge gekommen.

Andere Städte wie Misrata und Zintan führen ihr besonderes Leiden und ihre besonderen militärischen Leistungen an, für die sie durch mehr Anteil an der Macht entschädigt werden wollen. So hat Osama Juwaili, der derzeitige Verteidigungsminister, sich den Posten im Kabinett durch die Ergreifung von Saif al-Islam durch die Zintaner Milizen "verdient".

Dies alles ist der Herstellung eines Gewaltmonopols durch den Staat - wofür die Milizen entwaffnet und demobilisiert werden müssten - nicht zuträglich. Dem NTC fehlt es an der nötigen Legitimität, vor den Wahlen ist deshalb nicht damit zu rechnen, dass sich die lokalen Milizen und ihre Führungsräte auflösen lassen. Und die sind zwar konfliktanfällig, andererseits tragen sie auch zur Aufrechterhaltung der Ordnung nach dem Zusammenbruch des alten Regimes bei. Es ist niemand da, diese Aufgabe zu übernehmen, die Sicherheitskräfte müssen erst aufgebaut werden. (DER STANDARD-Printausgabe, 25.01.2012)