"Dass ich Glasermeisterin geworden bin, ist eigentlich reiner Zufall", sagt die diplomierte Sozialarbeiterin Đurđa Očko, die seit sieben Jahren ihre eigene Glaswerkstätte in Wien-Rudolfsheim-Fünfhaus betreibt.

Foto: Jasmin Al-Kattib

"Was mir sehr viel Spaß macht, sind Kunstverglasungen wie Bleifenster und solche Sachen. Ich habe aber leider wenig Zeit dafür ...

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... und es kommen auch nur wenige solcher Arbeitsaufträge. Aber auch die Schleifereien mache ich sehr gerne, besonders natürlich, wenn es spezielle Sonderformen sind."

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Zwischen alten Regalen mit Schleifsteinen lagern in Đurđa Očkos Werkstätte ...

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... auch Glasplatten in allen möglichen Stärken und Größen ...

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... sowie Glasreste in verschiedensten Farben und Formen.

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Da die Werkstätte sehr alt ist, hat Đurđa Očko keine technischen Hilfsmittel für die Bearbeitung der großen Glasblätter: "Wir legen das Glas händisch auf den großen Tisch, schneiden es auch händisch zu und tragen es dann nach hinten in die Schleiferei."

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Alte Spiegel-Belegereien wie die von Đurđa Očkos Onkel haben in der heutigen Zeit ausgedient. Noch vor 30 Jahren waren sie gang und gäbe: "Damals wurde das Glas noch mechanisch gezogen, das heißt, man hatte ein flüssiges Produkt, das beim Abkühlen aushärtete. Die Oberfläche war natürlich nicht plan, darum musste man es schleifen, und wenn man einen Spiegel haben wollte, wurde die Glasplatte mit einer Silberschicht überzogen."

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"Das Spiegelbelegen ist sehr interessant und eine sehr schöne chemische Reaktion, wenn aus einer durchsichtigen Flüssigkeit nach Hin-und-her-Schaukeln langsam die Silberschicht entsteht", schwärmt die Glasermeisterin. "Leider gibt es dafür heute praktisch keinen Bedarf mehr." Wenn heute ein Spiegel "blind" wird, wird er weggeworfen und ein neuer zugeschnitten, geschliffen und eingepasst.

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Besonders an trüben Wintertagen, an denen es früh dunkel wird, sieht es in dem kleinen Abschnitt der Fenzlgasse, der am Westrand des 15. Wiener Gemeindebezirks liegt, eher grau aus. Bei Hausnummer 8-10 verweist ein altes Schild auf die Spiegel-Belegerei von Josef Očko - die gibt es hier aber schon lange nicht mehr. Dennoch kann man an dieser Adresse heute in eine nicht weniger "gläserne Welt" tauchen. Vor sieben Jahren hat Đurđa Očko, die Nichte des früheren Spiegelbelegers, hier ihre Glaswerkstätte eröffnet.

Betritt man die große Glaserei, beginnt es zu funkeln: Zwischen alten Regalen mit Schleifsteinen und überdimensional großen Tischen stehen Spiegel und Glasscheiben in verschiedenen Stärken, auf kleineren Ablageflächen häufen sich Glasreste in allen Formen und Größen. "Dass ich Glasermeisterin geworden bin, war reiner Zufall", beginnt Đurđa Očko zu erzählen. "Ich bin eigentlich diplomierte Sozialarbeiterin, aber damit habe ich 1993, als ich nach Österreich kam, nicht viel anfangen können."

Wien: Näher als die Insel Cres

Die gebürtige Kroatin stammt aus Hum na Sutli, einem Ort an der slowenisch-kroatischen Grenze, etwa 60 Kilometer von Zagreb entfernt. Nach ihrem Studium der Sozialarbeit arbeitete sie im Jugendamt und in Projekten mit Flüchtlingen aus dem Kroatienkrieg. Als diese Projekte zu Ende gingen, wurde es für Đurđa Očko in Kroatien immer schwieriger, im Sozialbereich etwas Neues zu finden. Ein Jobangebot flatterte schließlich für ein Jugendheim auf der Insel Cres herein. "Aber ohne eigenes Auto ist der Weg auf die Insel viel länger als nach Wien", dachte sich die damals 27-Jährige und entschied, es lieber einmal in Wien zu versuchen. "Mein Onkel war hier und ich habe ja schon im Sommer ab und zu hier gejobbt." Also packte sie ihre Sachen und machte sich auf den Weg ins nahe Österreich. Es sollte ein vorübergehendes Abenteuer werden, bis die Jobsituation in Kroatien sich verbessert hätte.

Glaserlehre, warum eigentlich nicht?

"Doch dann gab es das Problem mit meiner Aufenthaltsbewilligung", erinnert sich die heute 45-Jährige. "Ich hatte nämlich nur ein Touristenvisum für drei Monate." Da kam der Vorschlag einer Glasermeisterin, die sie aus dem Bekanntenkreis ihres Onkels kannte, gerade recht. Sie solle sich doch einfach an der Berufsschule für den Glaserberuf bewerben, dort gebe es nur wenige Frauen, und der Aufenthalt wäre damit auch geklärt. Eine Ausbildung zur Glaserin, warum eigentlich nicht? "Diese Idee war etwas ganz Neues für mich, ich war vorher nicht einmal in Gedanken in diesem Fach. Aber irgendwie hat mich das fasziniert und meine Neugierde geweckt ", erinnert sich die Handwerkerin. Dann ging alles ganz schnell. Sie meldete sich beim Jugendarbeitsamt, und drei Tage später saß sie schon in der Berufsschule in der Wiener Mollardgasse.

Das Wörterbuch am Tisch

In den ersten Monaten war die Ausbildung aufgrund der deutschen Sprache nicht leicht für Đurđa, denn davor hatte sie sich immer "mit Englisch durchgeboxt". Sehr lange dauerte diese schwierige Phase aber nicht. "Mein Wörterbuch war immer auf dem Tisch und es gab zwei Kolleginnen, die mir sehr geholfen haben mit Übersetzungen und Zeichnungen. Ich habe dann sehr schnell ziemlich gut Deutsch gelernt." So schnell, dass Đurđa - "weil es mit der Schule und dem Lernen so einfach war"- bereits im zweiten Lehrjahr nebenbei auch ihr Diplom aus Kroatien nostrifizierte. "Ich habe auf der Akademie für Sozialarbeit die juristischen Fächer nachmachen müssen, aber das ist eigentlich ziemlich flott gegangen", erinnert sie sich. Gleich danach wurde ihr auch ein Job in einem Integrationsprojekt des Ministeriums angeboten, das sich mit Flüchtlingen aus Ex-Jugoslawien beschäftigte. Doch Đurđa lehnte ab und machte ihre Lehre fertig, immerhin hatte sie zwei Drittel davon schon absolviert.

Der eigene Glasereibetrieb

Nach ihrem Lehrabschluss verging die Zeit wie im Flug. Aufgrund eines Sparpakets konnte das Ministerium ein Jahr später niemanden mehr aufnehmen, also blieb Đurđa in der Glasbranche und stellte sich allen neuen Herausforderungen. Eine Entscheidung, die sie niemals bereut hat. Sie machte ihre Meister- und Unternehmerprüfung, und ein paar Jahre später gründete sie ihren eigenen Betrieb. Genau hier, in der Fenzlgasse, nachdem ihr Onkel, der Spiegelbeleger, in Pension gegangen war. Đurđa Očko lächelt stolz: "Vor sieben Jahren habe ich die alte Spiegelwerkstatt übernommen und sie in eine Glaserei umgewandelt."

Männerdomäne

Wenn neue Kunden zu Đurđa Očko in die Werkstatt kommen, kann es passieren, dass diese "nur den Chef sprechen wollen" und schnurstracks an ihr vorbei zu einem ihrer beiden männlichen Mitarbeiter gehen, um dann wieder zu ihr zurückgeschickt zu werden. "Die Gesichtsausdrücke sind dann sehr interessant", lacht die Glasermeisterin. "Mich stört das persönlich nicht so, es ist nicht für mich, sondern eher für die anderen unangenehm." Außerdem sei sie es aufgrund ihres hierzulande außergewöhnlichen Namens gewöhnt, für einen Mann gehalten zu werden. In schriftlichen Anfragen werde sie immer mit "Herr Očko" oder "Herr Đurđa" (ihrem Vornamen) angeschrieben, sogar ihr Meisterbrief war auf "Herrn Očko" ausgestellt, obwohl sie noch extra darauf hingewiesen hatte, darauf achtzugeben. Die lebensfrohe Frau Očko nimmt es gelassen: "Na ja, das war bei mir immer so. Ich habe dann nichts gesagt, weil ich ihnen Arbeit ersparen wollte."

Schneiden, schleifen und zuhören

Was ihr an ihrem Beruf besonders gefällt, sind die breiten sozialen Kontakte, die sie in ihrer Glaserei knüpft. "Ich lerne so viele Leute kennen, so viele Charaktere, und besonders bei vielen Stammkunden kenne ich die ganze familiäre Geschichte. Sie erzählen mir auch viele private Probleme." Sie hört zu, gibt ein paar Ratschläge und tröstet ein bisschen. Mittlerweile hat sich in der Nachbarschaft, in der viele Leute aus den Balkanländern leben, herumgesprochen, dass sie neben ihren perfekten Deutschkenntnissen auch über eine sehr soziale Ader verfügt. "Es kommen immer wieder Leute zu mir, die mich bitten, irgendwelche Bescheide oder Briefe zu übersetzen oder irgendwo anzurufen", sagt die hilfsbereite Glaserin. "Das klären wir dann alles hier von meinem Büro aus." Die Arbeit im Sozialbereich fehle ihr daher so gut wie gar nicht. Dennoch sei noch nicht fixiert, wie sich ihr Leben in Zukunft entwickeln werde. "Ich plane nicht so langfristig, es ist alles offen. Solange es mir hier Spaß macht, arbeite ich gerne in der Werkstatt - und es macht mir noch sehr Spaß." (Jasmin Al-Kattib, daStandard.at, 25.1.2012)