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Von der Regie nur schüchtern in Bewegung versetzt: Norbert Ernst (als Jack OBrien, li.), Elisabeth Kulman (als Leokadja Begbick) und Christopher Ventris (als Jim Mahoney).

Foto: AP/Lilli Strauss

Wien - Hier trägt man zwar allerlei bunte Herzen (an der Brust oder auf Hutschachteln) spazieren - man hat jedoch keine in sich: Mahagonny, das ist jener schnell errichtete Ort des materialistischen Hedonismus und der in Wahrheit tiefgefrorenen Seelen, an dem allerlei Vergnüglichkeiten als eskapistische Ware zu erwerben sind, sofern der Bewohner mit werthaltigem Papier dafür zu bezahlen fähig ist. Was Wunder, dass hier ein Dollarschein auf der Stadtfahne flattert; was Wunder, dass irgendwann nur noch eines verboten ist, nämlich eine Rechnung nicht begleichen zu können.

Jim, der sich bei einer Boxwette bis zur Pleite verzockt und dennoch an seine von Vergnügen zu Vergnügen taumelnde Umwelt Runden spendiert, wird in Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny denn auch schließlich gehängt. Rettende Geldentlehnung bei Amigos hätte sein Weiterleben gesichert, doch Jim schlägt nur noch Härte entgegen. Freunde verweisen bedauernd auf die monetäre Gesetzeslage. Und besonders Jenny erweist sich als kühlste aller leichten Damen, da ihre Zuneigung zu Jim offenbar nur in Verbindung mit ausreichend verfügbaren Dollarscheinen aufzublühen vermochte.

Angelika Kirchschlager - sie trägt dann beim Prozess gegen ihren Jim schon quasi Witwenschwarz - muss in dieser Szene, da ihre Herzlosigkeit den Gipfel erklimmt, nur noch dastehen und eindringlich-kühl singen (in der Tiefe zeigten sich insgesamt Schwächen), um echte Wirkung zu erzielen. Allerdings hilft Jenny das Stück, es inszeniert sich gleichsam selbst und bringt so einen raren Augenblick der szenischen Intensität hervor.

In Summe darf dies an der Wiener Staatsoper nicht reichen. Regisseur Jérôme Deschamps jedoch kann mit den dramaturgischen Eigenheiten des Weill-Brecht-Stücks wie auch mit den Möglichkeiten, welche es sehr wohl bietet, kaum etwas anfangen. Er beschenkt das Haus am Ring mit einer von puppenhaftem Rampentheater geprägten Version dieser Oper.

Aber bunt ist sie: Die Kostüme von Vanessa Sannino verbreiten ein Flair von Karneval und Zirkus, doch statt hieraus schillernde Szenen zu entwickeln, behandelt Deschamps die Protagonisten wie Schaufensterpuppen, die man in eine Opernmodeschau hineinpostiert hat. Da wird auf jene (zwischen den sich zu Häusern wandelnden Wänden) Projektionen gestarrt, die Hochhäuser oder Baustellen zeigen. Und unentwegt muss ein Vorhang auf- und zugehen, um dem "Regisseur der Bühne" (eindringlich Heinz Zednik) den Erzählplatz zu überlassen.

Biss und Tiefe

Deschamps schient nicht zu inszenieren, vielmehr eine Oper zu buchstabieren, was zu einer gewissen Trostlosigkeit und Gelähmtheit der Bühnenvorgänge führen muss. Natürlich ist es beeindruckend, mit welcher Klarheit und Präsenz etwa Elisabeth Kulman (als Begbick) singt. Und natürlich ist auch Christopher Ventris (als Jim Mahoney) von tadellos opernhafter Wirkung - bei einer flexiblen Musik, die sicher auch ganz anders reizvoll umzusetzen wäre. Biss und Tiefe verleihen diese Einzelleistungsträger dem Ganzen jedoch nicht; wie auch nicht die anderen vokal sehr guten Protagonisten.

Vielleicht hätte auch Dirigent Ingo Metzmacher das Staatsopernorchester zu mehr Kantigkeit und Schärfe animieren sollen. So bliebt "nur" ein ungemein sensibel schwebendes Netz aus Klängen zu bewundern, dessen kammermusikalische Ausformung jedoch - subtil - gewisse Charakteristika des Werkes auszublenden schien. So musste Dominique Meyers am Tag seiner durchaus berechtigten Vertragsverlängerung erleben, wie man einen Regisseur seiner Wahl ausbuhte.   (Ljubisa Tosic / DER STANDARD, Printausgabe, 26.1.2012)