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Seit sich dm für mehr Liberalisierung starkmacht, ist die Kette für Apotheker ein rotes Tuch.

Foto: APA/Martin Gerten

Wien - Dass sich die Österreicher unkontrolliert mit Medikamenten vollstopfen, wenn diese günstiger zu haben sind, hält dm für ein böses Gerücht. Konsumenten seien nicht unmündig, sagt Harald Bauer, Chef der Drogeriekette in Österreich, und er hat eine neue entsprechende Untersuchung parat.

80 Prozent der Österreicher lesen die Beipackzettel, erhob Meinungsforscher Marketagent. Mehr als 75 Prozent würden nicht rascher zur Arznei greifen, wäre diese in den Drogerien erhältlich.

Bauer lässt im Kampf um die Liberalisierung des Verkaufs von rezeptfreien Medikamenten in Österreich nicht locker. Es geht vor allem um Präparate gegen Husten und Erkältung, um Heilsalben, Vitamine und Nahrungsergänzungsmittel. An die 350 Millionen Euro setzen die Apotheker damit um. Anders als in Deutschland, in der Schweiz, Schweden und England, ist der Markt Einzelhändlern hierzulande verwehrt. Brüssel drängt EU-Länder zwar zu mehr Offenheit, doch nationale Rechte wiegen am Arzneimittelsektor schwerer. dm beugt sich den Gesetzen - nutzt aber Schlupflöcher, und diese finden sich im Onlineversand.

Österreich lässt keine Internetapotheken zu - erlaubt ist jedoch der Versand aus dem Ausland. Vorausgesetzt, die Präparate sind rezeptfrei und hier auch zugelassen. Also wird seit einem Jahr mit dem Schweizer Medikamentenversender "Zur Rose" kooperiert, der Österreich über eine Tochterfirma in Tschechien versorgt. Die Schweizer sind seit 1993 am Markt, setzen mit 300 Mitarbeitern 490 Millionen Euro um und erfreuen sich etlicher Auszeichnungen, wie Unternehmensgründer Walter Oberhänsli ausführt. Auch der Verein für Konsumenteninformation ha- be seine Gesetzestreue bestätigt.

Niedrigere Preise

Die Bilanz nach einem Jahr Zusammenarbeit mit dm gebe dem Konzept Recht: Die Zahl der österreichischen Kunden habe sich auf 100.000 verdreifacht, wobei jeder dritte mehr als einmal bestelle, rechnet Rainer Seiler, Chef der Versandapotheke, vor. Die Umsätze verdoppelten sich auf fünf Millionen Euro. Sie werden mit dm, der für die Werbung sorgt, geteilt. Rezeptfreies sei hier um bis zu 40 Prozent günstiger als in Apotheken und das Wachstumspotenzial groß, meint Seiler. In Deutschland würden bereits elf Prozent der Präparate über Versandhändler bezogen, in den USA ein Viertel. Unter den Österreichern würden laut Studie 75 Prozent gern Rezeptfreies im stationären Handel kaufen. Und jeder Dritte habe auch keine Scheu vor dem Internetversand.

Politische Signale für die Lockerung des Monopols der Apotheker auf diesen Markt gibt es allerdings keine. Niemand wolle sich aus dem Fenster lehnen, seufzt Bauer. Im Gesundheitsministerium sieht man den Onlinehandel skeptisch: Man befürchtet freie Bahn für Fälschungen. Für die Apotheken ist das Thema ein rotes Tuch. Vor allem seit ihnen auch Wirtschaftsforscher zu hohe Preise und wenig Wettbewerb attestieren. Ihre Standesvertreter warnen vor fehlender Beratung und Missbrauch: Medikamente seien ein besonderes Gut und in Österreich vergleichsweise billig, wie auch der Verbrauch je Einwohner niedriger sei als in anderen EU-Ländern. Für Präparate mit geringem Einkaufspreis verrechnen Apotheker in der Regel höhere Spannen, an teureren Produkten verdienen sie weniger.

"Wollen Sie die große oder die kleine Packung?" Das sei meist die einzige Frage, die Pharmazeuten ihren Kunden stellten, sagt Bauer. Er will den Onlineversand für Rezeptfreies noch stärker bewerben. (Verena Kainrath, DER STANDARD, Printausgabe, 26.1.2012)