Einer der beiden Autoren: Matthias G. Bernold.

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In "Revolution 3.0" geht der österreichische Journalist Matthias G. Bernold gemeinsam mit Co-Autorin Sandra L. Henaine der Frage nach, ob soziale Netzwerke, die Verbreitung von Mobiltelefonen und der freiere Zugang zum Internet die Menschen zu widerständigeren Bürgern machen. Anhand von zehn Aktivisten rund um den Globus recherchierten sie unterschiedliche Benutzungsarten von Twitter, Facebook und Co. und untersuchten, welchen Einfluss sie auf die reale Welt haben. "Die Leute ziehen sich nicht mehr ins Netz zurück, um sich dort zu verbinden", sagt Bernold im derStandard.at-Interview, "sondern das, was sich im Netz verbunden hat, wirkt sich auf die reale Welt aus."

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derStandard.at: Sie haben zehn Personen und ihre Instrumente, also ihre jeweils unterschiedlichen Benützungsformen des Internets, porträtiert. Gab es einen roten Faden? Nach welchen Kriterien wurden die Personen ausgewählt?

Bernold: Teilweise haben wir Figuren ausgewählt, die sehr bekannt sind, wie etwa die Isländerin Brigitta Jonsdottir. Und teilweise - und das war das Spannende an diesen Revolutionen - sind es ganz normale Durchschnittsbürger, die auf einmal zu so etwas wie Helden wurden. Die Auswahl in Ägypten etwa verlief sehr zufällig. Wir sind in die Blogger-Szene reingekommen, in die intellektuelle, technologieaffine Jugendbewegung. Da standen viele spannende Leute zur Auswahl. Wir haben uns dann für Sarrah, die Frauenaktivistin, entschieden, weil sie unserer Meinung nach stark diese politisierte Jugend symbolisiert. Sie sagt ja von sich selber, dass sie eigentlich erst am 25. Jänner, am Tag der Revolution, geboren wurde, also ab dem Zeitpunkt, wo sie ein politischer Mensch wurde.

derStandard.at: Sie haben noch vor Ausbruch des Arabischen Frühlings begonnen zu recherchieren. Was war der Auslöser für Ihr Buch, und wäre es ohne Ausbruch dieser Revolten anders ausgegangen?

Bernold: Diese ägyptische Radiomacherin als Vertreterin des Feminismus wäre so oder so aktuell gewesen. Wir wollten von Anfang an das ganze Spektrum des Widerstandes abdecken - dass auf einmal die Sache im arabischen Raum explodiert ist, war natürlich reiner Zufall. Für mich waren die Auslöser die "Farbrevolutionen" im Jahr 2009, etwa in Moldawien oder im Iran. Ich habe damals nicht fassen können, was da alles über YouTube hereinkam. Das waren scheinbar aus dem Nichts organisierte Jugendbewegungen. Diese Dynamik, die durch die Verwendung der neuen Technologien entsteht, hatte damals wenig Vergleichbares. Man hat auf einmal gesehen, wie das Internet überall eine Rolle zu spielen begann, nicht nur auf nationaler, sondern auch auf lokaler Ebene, auf der Ebene von Bürgerinitiativen.

derStandard.at: Sieht man sich die ausgewählten Personen an, fällt einer aus dem Rahmen: der neoliberale, wohlhabende Schweizer Geschäftsmann Daniel Model, der sich aus Protest gegen den in seinen Augen gierigen Sozialstaat einen ästhetischen Modellstaat aufbaut.

Bernold: Das stimmt. Unser Anliegen war es, das gesamte gesellschaftliche Spektrum abzubilden und darzulegen, dass Widertand nicht nur im Che-Guevara-Leibchen daherkommt, links ist und Rastalocken haben muss. Daniel Model ist eine spannende Figur, weil er so etwas wie die Renaissance des Schweizer Geldadels bedeutet, mit ultraliberalen und für unser Empfinden fast autoritären Zügen. Er ist ein Autokrat im reinsten Sinne, auch wenn man sich seine Firma anschaut und die Art, wie er sie führt. Er hat aber zugleich eine politische Agenda und steht in der ohnehin schon konservativen Schweiz als Kontrapunkt da. Diese Revolution von rechts, die er andenkt, hat uns interessiert. Auch um dieses Klischee zu sprengen, dass Revolutionen immer links beginnen müssen. Das hat ihn so spannend gemacht, obwohl er während der Recherche mit seinem Online-Fernsehsender baden gegangen ist.

derStandard.at: Hillary Clinton hat die neuen Netzwerke mit der Wirkung der Atomkraft verglichen. Sie könnte eine Gesellschaft und ihre Regierung mit Energie versorgen, aber sie auch zerstören.

Bernold: Es gibt keine Technologie, die ausschließlich positiv zu bewerten wäre, und selbstverständlich wird Technologie von jeder politischen Macht genutzt. Natürlich kann man Facebook dazu nutzen, wichtige Informationen hinauszutragen, genauso wie man es dazu benutzen kann, Leute zu überwachen. Jeder Technologie wohnt natürlich die Gefahr des Missbrauchs inne.

derStandard.at: Der "Digitalblog" der "Süddeutschen Zeitung" hat sich neulich mit einem 2007 erschienenen Artikel des "New York Magazine" mit dem Titel "Kids, the Internet, and the End of Privacy: The Greatest Generation Gap Since Rock and Roll" auseinandergesetzt. Können Sie der Idee, dass sich der Generationenkonflikt von heute entlang der Konfliktlinie Internet abspielt, etwas abgewinnen?

Bernold: Definitiv hat die Gesellschaft, wie sie sich heute darstellt, mit der vor 15 Jahren sowie mit ihrer Arbeitsweise überhaupt nichts mehr zu tun. Angefangen bei der Arbeit von Journalisten. Technische Veränderungen finden so rasant statt; wer nicht mitmacht, bleibt irgendwann draußen stehen. Ob das nun wirklich den einen Generationenkonflikt erzeugt, vermag ich nicht zu sagen. Meine Mutter etwa benützt auch Facebook und Skype. Aber die Art und Weise, wie ich das Internet verwende, ist natürlich eine andere. Leute, die ein gemeinsames Ziel verfolgen, organisieren sich wohl eher altersübergreifend.

derStandard.at: Ist der Mangel von Führungspersonen im virtuellen Protest, der lange als Vorteil galt, langfristig gesehen ein Nachteil?

Bernold: Die Frage ist, was den Erfolg einer Revolution ausmacht. Spannend an vielen Internet-Revolutionen ist die Frage, wie so ein basisdemokratisch-anarchistisches Konstrukt entsteht, wie spontan und schnell es passiert und sich wie ein Lauffeuer entwickelt. Aber auch, wie schwer es ist, diesen Widerstand auf Dauer aufrechtzuerhalten. Das beste Beispiel dafür ist die "Uni brennt"-Bewegung, die innerhalb von kürzester Zeit einen gewaltigen Effekt erzielt hat in ganz Europa und dann in sich zusammengebrochen ist, als das Interesse weg war. Daran hat man gesehen, dass solche Entwicklungen durch das Fehlen einer Hierarchie, von Sprechern oder Assoziation, nicht dauerhaft sind.

Da gilt meiner Meinung nach dasselbe, was Aldon D. Morris gesagt hat, einer der bekanntesten Chronisten der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung. Er hat Erfolgskriterien für Revolutionen festgemacht. Die amerikanische Bürgerrechtsbewegung war bekanntlich getragen von der schwarzen Kirche und von charismatischen Predigern, aber das seiner Meinung nach Wichtigste war, dass man eine Organisation hatte, auf die die Protestbewegung zurückgreifen kann. In dem Fall war das sehr stark die Kirche, die in den Staaten irrsinnig gut organisiert war. Wenn man das überträgt auf unsere Situation und sich anschaut, wer die Widerstandsbewegungen sind, die Erfolg haben, dann sieht man etwa, dass sich in Ägypten jene durchgesetzt haben, die seit Jahren politische und soziale Strukturen aufgebaut haben, also die Muslimbrüder, nicht die intellektuellen, internetaffinen Studenten.

derStandard.at: Muss man sich letztendlich eingestehen, dass die etablierten politischen Eliten und Netzwerke mehr normative Kraft besitzen als die virtuelle Welt?

Bernold: Nein, das möchte ich so nicht stehen lassen. In Island sieht man, wie sich nach dem Finanzcrash aus Bürgerinitiativen und Online-Widerständen eine Partei geformt hat, die nicht den klassischen Parteikriterien entspricht. Eine Partei, die sich für eine bestimmte Zeit mit einem bestimmten Ziel zusammenschließt: mehr Demokratie und radikale Pressefreiheit, das Umbauen Islands zu einer Schweiz der Bytes. Man kann sich dieses anarchistischen Elements also erfolgreich bedienen - man muss allerdings smart sein und vermutlich auch Kompromisse eingehen, damit das Feuer, das man angezündet hat, nicht wieder erlischt.

derStandard.at: Wie etwa die Piratenpartei in Berlin?

Bernold: Genau. Ein prototypisches Beispiel, an dem man sieht, wie eine Internetbewegung sich auf einem etablierten Feld manifestiert.

derStandard.at: Ihr Erfolg rührt ja auch daher, dass man den heutigen Politikern nicht mehr vertraut und mehr Transparenz fordert. Der in Karlsruhe lehrende Philosoph und Medientheoretiker Byung-Chul Han stellte in der "Zeit" unter dem Titel "Transparent ist nur das Tote" die These auf, dass die Überhöhung der Transparenz die Gesellschaft nicht freier und demokratischer mache, sondern nur neue Zwänge erzeuge und letztlich ein Klima des Verdachts nähre.

Bernold: Ich bin prinzipiell der Meinung, dass Transparenz der Gesellschaft gut tut. Man vergleiche nur die skandinavischen Länder, wo Gehälter offenliegen und staatliches Handeln nachvollziehbar ist, mit Österreich, wo mit Hilfe von Amtsgeheimnissen und anderen Vorwänden alles abgeschmettert wird. Dieser merkwürdige Transparenzbegriff und dieser Schutz der Verwaltung gegen jeden, der etwas erfahren möchte, ist ein negativer Trend. (fin, derStandard.at, 25.1.2012)