New York - Der Libyen-Beauftragte der UNO, Ian Martin, sieht in den jüngsten Zusammenstößen in der Stadt Bani Walid keinen Aufstand von Anhängern des getöteten Machthabers Muammar al-Gaddafi, sondern Kämpfe zwischen bewaffneten Einwohnern und Revolutionsmilizen. Der Konflikt sei falsch berichtet worden, sagte Martin laut dem Sender BBC am Mittwochabend (Ortszeit) vor dem UNO-Weltsicherheitsrat in New York.

Die Zusammenstöße in Bani Walid würden allerdings die Notwendigkeit zur Aussöhnung zwischen den Rebellen und den ehemaligen gaddafitreuen Kämpfern unterstreichen, sagte Martin. "Das ehemalige Regime mag mittlerweile entmachtet sein, aber die libysche Bevölkerung muss weiterhin mit dessen tief verwurzeltem Erbe leben."

Die UNO-Beauftragte für Menschenrechte, Navi Pillay, warnte, die ehemaligen Revolutionsmilizen seien außer Kontrolle geraten. Milizionäre würden mehr als 8.000 angebliche Anhänger Gaddafis ohne rechtliche Grundlage in rund 60 Geheimgefängnissen gefangen halten und zum Teil foltern. Die Übergangsregierung sei zu schwach, um den Milizen Einhalt zu gebieten. "Das vorherige Regime mag gestürzt sein, aber die harte Realität ist, dass das libysche Volk weiter mit seinem tief verwurzelten Erbe leben muss", erklärte Martin. 

Ärzte ohne Grenzen: Folter in Misrata

Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen hat unterdessen bekannt gegeben, die Arbeit in den Internierungszentren der libyschen Stadt Misrata zu beenden. Mitarbeiter haben festgestellt, dass Gefangene gefoltert werden und ihnen medizinische Hilfe vorenthalten wird, teilte die Organisation am Donnerstag in einer Aussendung mit.

Teams von Ärzte ohne Grenzen/Médecins Sans Frontières (MSF) arbeiten seit August 2011 in den Internierungszentren in Misrata, um kriegsverletzte Gefangene zu behandeln. Die Mitarbeiter seien immer öfter mit Patienten konfrontiert gewesen, die Verletzungen als Folge von Folter während Verhören aufwiesen. Ärzte ohne Grenzen hätten insgesamt 115 Patienten behandelt, die Verletzungen durch Folter aufwiesen, und hat alle Fälle an die zuständigen Behörden in Misrata gemeldet.

Seit Jänner wurden Patienten, die in die Verhörzentren zurückgebracht wurden, sogar erneut gefoltert, betonte die Organisation. "Das ist vollkommen inakzeptabel. Wir sind in Misrata, um Kriegsverletzte und kranke Gefangene medizinisch zu versorgen - aber sicher nicht, um wiederholt dieselben Patienten zwischen Verhörsitzungen zu behandeln", erklärte Christopher Stokes, Geschäftsführer von Ärzte ohne Grenzen in Belgien.

Auslöser für den Rückzug aus Misrata war ein Vorfall im Jänner. Ärzte ohne Grenzen beobachteten, dass Patienten dringend notwendige medizinischen Hilfe versagt wurde. Trotz Meldung der Notlage der Häftlinge und Bitte an die Behörden, Misshandlungen von Gefangenen zu verhindern, wurden verletzte Gefangene weiter verhört und gefoltert. (APA)