Wien - Im UN-Sicherheitsrat zeichnet sich eine neue Konfrontation zwischen dem Westen und Russland im Fall Syrien ab. Während Großbritannien und Frankreich gemeinsam mit arabischen Verbündeten einen Resolutionsentwurf vorbereiten, der die Arabische Liga in ihrer Forderung nach einem Rücktritt des syrischen Staatschefs Bashar al-Assad unterstützt, bekräftigte der russische Außenminister Sergej Lawrow Moskaus Nein zu Sanktionen oder einer Militäraktion (beides ist im Resolutionsentwurf gar nicht enthalten).

"Syrien darf nicht Libyen werden": Das ist nach den Worten des russischen Nahost- und Islamexperten Georgi Mirskij die Maxime der russischen Blockadepolitik. Mirskij, Professor am Moskauer Institut für Weltwirtschaft und Internationale Beziehungen, sprach am Mittwochabend auf Einladung des Renner-Instituts und des EU-Russland-Thinktanks Iceur in Wien.

"Schuld am Tod Gaddafis"

In Russland herrscht laut Mirskij die Meinung vor, der Westen habe Moskau im Fall Libyen betrogen (wo es sich beim Beschluss des UN-Sicherheitsrats über eine Militärintervention der Stimme enthielt). Viele Russen glaubten, Präsident Dmitri Medwedew (der die Stimmenthaltung anordnete) sei für den Tod des libyschen Ex-Diktators Gaddafi verantwortlich. Seit dem "Libyen-Debakel" würden wichtige außenpolitische Entscheidungen nur noch von Premier Wladimir Putin getroffen.

Mirskij erklärt Putins Haltung auch mit dem laufenden Präsidentschaftswahlkampf. Der Premier wolle sich als "großer, unabhängiger Führer" präsentieren, der niemals nach der Pfeife Amerikas tanze. Dies komme der noch immer verbreiteten antiwestlichen und antiamerikanischen Sowjetmentalität entgegen. In Russland glaube auch niemand, dass es dem Westen wirklich um Demokratie gehe - und dass das westliche System sich vom russischen unterscheide. Stattdessen würden vor allem die USA verdächtigt, ständig auf "schmutzigen Tricks" gegen Russland aus zu sein. "Putin und Medwedew verstehen nicht, was Demokratie, demokratische Institutionen und öffentliche Meinung sind."

Dennoch sieht Mirskij im Fall Syrien auch rationale Gründe für Moskaus Kurs: Eine Militärintervention könne dort eine Radikalisierung der Islamisten auslösen, im Vergleich zu der die ägyptischen Muslimbrüder ein "Kindergarten" seien. Angesichts der Entwicklung in Syrien selbst glaubt Mirskij, dass sich Assad nur noch ein paar Monate halten kann.

Zum Atomstreit mit dem Iran meint der Moskauer Experte, Teheran wolle zeigen, dass es "fünf Minuten vor der Bombe steht und sie jederzeit bauen kann - das wollen sie aber nicht". Die inzwischen verschärften Sanktionen von USA und EU hätten einzig den Zweck, Israel von einem Militärschlag abzuhalten - "denn das hätte katastrophale Folgen". (Josef Kirchengast, DER STANDARD, Printausgabe, 27.1.2012)