"Was, ihr wollt uns lästern,
sagt, wir sind die von Gestern?
Doch macht euch keine Sorgen,
denn wir sind die von Morgen!"
(Siegfried Zimmerschied)*
Wenige Tage bevor deutsch-völkische Burschenschaften in der Hofburg von der FPÖ-Prominenz und ihren europäischen Freunden auf dem WKR-Ball beehrt werden, lud in Wien die vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands als rechtsextrem eingestufte Österreichische Landsmannschaft zu einer bemerkenswerten Veranstaltung: "Eine Utopie zerstört die Realität: Die Frankfurter Schule" lautete der Titel, unter dem sich am Mittwoch im Schulvereinshaus in der Fuhrmanngasse eine illustre Runde versammelte. Bernd Lindinger, der mehrere Jahre für die FPÖ im Bundesrat saß, referierte ebendort über den zersetzenden Einfluss jener Kritischen Theorie von Theodor W. Adorno, Max Horkheimer und Herbert Marcuse, die auch schon den norwegischen Attentäter Anders Behring Breivik zur Weißglut getrieben hatte.
Zur Pflichtlektüre für rechtsradikale Akademiker und philosophierende Burschenschaftler gehört Rolf Kosieks mittlerweile in fünfter Auflage vorliegendes Machwerk Die Frankfurter Schule und ihre zersetzende Wirkung. Das Buch gewährt einen exemplarischen Einblick in die Gedankenwelt jener Leute, die heute beim WKR-Ball das Tanzbein schwingen werden. Kosiek outet sich als Antihedonist und führt aus, dass die Kritische Theorie mit der "Betonungen reiner Glücks- und Genussphilosophie" im scharfen "Gegensatz zur Haltung der deutschen Tradition" stehe, die sich über "diese niedere Sinnlichkeit" weit hinaushebe. Deutsch sei die Vorstellung, "dass der Sinn des Lebens vor allem im Erfüllen einer Aufgabe, einem Werk, in einer Pflicht beruht und nicht im platten Glücksstreben." Die von der Kritischen Theorie betriebene "Umerziehung" sei so erfolgreich gewesen, dass Deutschland heute keine "Volksgemeinschaft" mehr sei und "Fremde" ungehindert "in den deutschen Volkskörper in Millionenanzahl einströmen" könnten.
Schon 2004 hielten rechtsradikale Burschenschaften und Freiheitliche, die sich in der Arge Konrad Lorenz zusammengeschlossen hatten, in Wien ein Symposium unter dem ernstgemeinten Titel "Frankfurter Schule - die 9. Todsünde" ab. Die Burschenschaftler sahen es offenbar als eine Art Outing an, als sie die Kritische Theorie als "Verbindung von Neomarxismus und Psychoanalyse" charakterisierten. Gerade die Verbindung von gesellschaftskritischer und individueller Selbstreflexion prädestiniert die Kritische Theorie zum Hassobjekt der Rechtsradikalen. Und zwar aus dem gleichen Grund, den Adorno als Grund für den Hass auf die Psychoanalyse erkannte: "Der Hass auf die Psychoanalyse ist unmittelbar eins mit dem Antisemitismus, keineswegs bloß weil Freud Jude war, sondern weil Psychoanalyse genau in jener kritischen Selbstbesinnung besteht, welche die Antisemiten in Weißglut versetzt" , schrieb er 1959.
Dass Antisemiten und Rechtsradikale die Vertreter der Frankfurter Schule besonders inbrünstig hassen, bedarf keiner großartigen Erklärung. Durchaus bemerkenswert ist allerdings, dass sie ihren Hass in einem Augenblick kundtun, da die Kritische Theorie, sei es auf den Universitäten, sei es im Feuilleton, nur mehr unter "ferner liefen" abgehandelt wird.
Adorno und Horkheimer zogen zeitlebens jene Ressentiments auf sich, denen sich auch heute alle sicher sein können, die kritische Einwände gegen die bestehende Ordnung und ihre scheinbaren Antagonisten in der real existierenden Linken formulieren. Die Kritische Theorie sieht sich gegenwärtig keineswegs allein mit Rechtsradikalen aus dem miefigen Burschenschaftlermilieu konfrontiert. Im Feuilleton und auf den Universitäten wird Adorno heute gern als irgendwie beeindruckende, aber leider etwas überempfindliche Geistesgröße abgetan. Der universitäre Mainstream hält die Kritische Theorie für "veraltet" . Den postmodernen Meisterdenkern gilt Adorno schon deswegen als totalitär, weil er von gesellschaftlicher "Totalität" spricht. Und der Post-68er-Linken gilt die Kritische Theorie als abgehobene, blutleere und praxisfeindliche Philosophie und Adorno und Horkheimer allein aufgrund ihrer Sympathie für Israel und für die USA als Verräter.
In dieser Frage dürften sich gar nicht so wenige jener Demonstranten, die heute verständlicherweise gegen den WKR-Ball protestieren werden, mit den nationalen Tänzern in der Hofburg einig sein. (Stephan Grigat, DER STANDARD Print-Ausgabe, 27.01.2012)
*Aus dem Programm "A ganz a miesa, dafeida, dreggiga Dreg san sie", 1979