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Raus aus dem überfüllten Hörsaal von heute, rein in die Internet-Universität von morgen: Die Plattform Udacity.com will Hochschulbildung zu geringen Kosten in die ganze Welt bringen.

 

Foto: AP/Bruns

Können Sie sich eine Vorlesung vorstellen, an der 160.000 Studenten teilnehmen? In einem physischen Hörsaal ist das nicht möglich, im digitalen Raum aber schon. 160.000 virtuelle Hörer aus 190 Ländern hat eine Einführungsvorlesung über künstliche Intelligenz des Standford-Professors Sebastian Thrun vergangenen Herbst erreicht. 23.000 Onlinestudenten absolvierten die Lektion erfolgreich.Der Erfolg und das Echo auf das Projekt waren für Thrun so überwältigend, dass der deutsche Wissenschafter nun seinen Uni-Job an den Nagel gehängt und mit Stanford-Kollegen vor wenigen Tagen die Bildungsplattform Udacity gestartet hat.

Videovorlesungen und interaktive Aufgaben

Studenten aus der ganzen Welt, egal welchen Alters, Geschlechts oder Herkunft, sollen darüber an Hochschulkursen teilnehmen können, wie sie sonst nur an Elite-Unis abgehalten werden. "Wir wollen damit das Universitätswesen demokratisieren", erzählte Thrun dem STANDARD über seine Visionen.

"Allen Unkenrufen zum Trotz hat das Experiment im Herbst auch gezeigt, dass sich mittlerweile online gut unterrichten lässt", ist der Professor für künstliche Intelligenz überzeugt. Der zehnwöchige Kurs über künstliche Intelligenz setzte sich aus Videovorlesungen und interaktiven Aufgaben zusammen, Hausaufgaben, Prüfungen und Noten inklusive. Mithilfe des Google-Moderator-Service konnten die Studenten Fragen stellen und abstimmen, welche Fragen der Professor per Video oder Onlinechat beantworten sollte. Eine Schar von 2000 freiwilligen Helfern wirkte an der Übersetzung in 44 verschiedene Sprachen mit.

Suchmaschine programmieren

Nun soll auf Udacity der nächste Schritt des weltweiten digitalen Lernens vorangetrieben werden. Interessierte können sich hier für einen siebenwöchigen Grundkurs für Informatik einschreiben, an dessen Ende die Studenten in der Lage sein sollen, eine Suchmaschine programmieren zu können. "Wenn auch nicht mit allen Finessen von Google", räumt er ein.

Derzeit ist das Angebot gratis. Thrun spricht von der Economy of Scale des Lernens. In Stanford gehe man von Kosten pro Kurs und Student von 1500 Dollar aus. Ab einer gewissen Größe kämen Lehrveranstaltungen dann aber nur noch auf einen Dollar pro Student. Ursprünglich habe er das Ganze aus seinem Privatvermögen finanziert. Doch vor kurzem habe KnowLabs, das Unternehmen, das hinter Udacity steht, Venture Capital bekommen.

Ungefährliche Geisterfahrer

Im Zweitjob forscht der 44-jährige Thrun nach wie beim Internetkonzern Google. Vor vier Jahren hat er unter anderem Street View mitentwickelt. Heute leitet er das mittlerweile 50 Kopf starke Team bei Google Driverless Cars. Ziel des Projekts für selbststeuernde Fahrzeuge sei es, Autofahren sicherer zu machen und dabei verloren gehende Zeit zu kompensieren. "Wir wollen die Option bieten, sich auf Knopfdruck fahren zu lassen und dabei etwas anderes zu tun, zum Beispiel lesen", sagt er. Der virtuelle Fahrer sei auch für Ältere oder Menschen mit Handicaps interessant, eine Möglichkeit, mobil zu bleiben.

Google-Geisterfahrer-Flotte

340.000 Kilometer hat die Google-Geisterfahrer-Flotte der anderen Art schon absolviert. "Und zum Glück ist nichts passiert", freut sich Thrun. Doch noch lässt sich nicht sagen, bis wann das System perfekt genug läuft, um es serienreif zu machen. "Ein plötzlich über die Straße springendes Reh oder einen Polizisten, der mit seiner Kelle herumfuchtelt, erkennt das System noch nicht."

Ob Investitionen in öffentliche Verkehrsmittel nicht sinnvoller wären? Zumindest nicht in den USA, meint der Forscher. Es sei schon viel in entsprechende Programme reingesteckt geworden. "Doch 90 Prozent der Bevölkerung nutzen weiter das Auto."(Karin Tzschentke/ DER STANDARD Printausgabe, 27. Jänner 2012)