Iain Banks: "Krieg der Seelen"
Broschiert, 799 Seiten, € 16,50, Heyne 2012 (Original: "Surface Detail", 2010)
And now for something completely better. Endlich wieder ein waschechter Kultur-Roman von Iain Banks! In "Krieg der Seelen" lernen wir wieder neue Facetten dieser galaktischen Meta-Zivilisation aus Menschen, Menschenähnlichen und Künstlichen Intelligenzen kennen. So hören wir darin auch zum ersten Mal von einem ideologischen Konflikt, der zwischen den Nachbarzivilisationen der Kultur tobt und sich um das Konzept der virtuellen Höllen dreht.
Virtuelle Paradiese, in die man nach dem Tod eine digitale Bewusstseinskopie uploadet, hat ja jeder (Autor). Banks mit seinem Sinn für schwarzen Humor - "Dies bereitet mir weitaus mehr Freude als Ihnen Schmerz ..." - liefert nun auch das Gegenstück dazu: Einige Spezies waren eben der Meinung, dass sie ihre BürgerInnen leichter zu moralischem Verhalten animieren können, wenn sie ihnen für Ungehorsam eine virtuelle Weiterexistenz nach dem Tod in endloser Qual androhen (und das dann auch beinhart realisieren). Andere Spezies finden dies abscheulich, und um einen milchstraßenumspannenden Krieg zwischen Höllenbefürwortern und -gegnern zu verhindern, trägt man den Konflikt auf eine streng regulierte Weise in eigens dafür eingerichteten virtuellen Kosmen aus. Soweit das Grundszenario, garniert wird es mit fantastischen Details wie einem orbitalen Ring, der mal eben eine Viertelmilliarde Kriegsschiffe ausspuckt, oder einem Meeting auf einem Boot aus komprimiertem Papier, das über einen Quecksilbersee dümpelt. Mit anderen Worten: "Krieg der Seelen" ist große Oper.
Passend dazu beginnt der Roman mit einem Mord auf der Opernbühne; irgendwo auf einem - vorerst - eher unwichtigen Planeten außerhalb der Kultur. Lededje Y'Breq, die dem skrupellosen Unternehmer Joiler Veppers als Mischung aus Statussymbol und Sexsklavin diente, ist ihrem Herrn davongelaufen, wird nun aber gestellt und getötet (immerhin erst, nachdem sie Veppers die Nase abgebissen hat, ein Auftakt nach Maß). Groß ist Lededjes Überraschung, als sie nach ihrem Tod wieder erwacht - zunächst als digitale Bewusstseinskopie im Speicher eines Kulturschiffs, schon bald stellt man ihr aber auch einen neuen Körper zur Verfügung. Für BürgerInnen der Kultur wäre das nichts Besonderes, im Fall Lededjes rätseln aber zunächst alle, wie auch sie als Außenstehende in den Genuss dieses Service kommen konnte. Die Besonderen Umstände, den Quasi-Geheimdienst der Kultur, kennen wir ja bereits. Nun aber tritt eine bislang nicht vorgekommene Schwester-Organisation namens Quietus, die auf den Themenkomplex "virtuelles Nachleben" spezialisiert ist, in Aktion und setzt die Agentin Yime Nsokyi auf Lededje an. Der Auftrag erhält besondere Brisanz, als Lededje beschließt, zu ihrem Peiniger zurückzukehren, um sich zu rächen. Bedauerlicherweise spielt der aber eine wichtige Rolle im Höllenkrieg, und die Kultur - die daran offiziell nicht teilnimmt, aber sehr eindeutig auf Seiten der Höllengegner steht - gerät wieder einmal in einen moralischen Zwiespalt: Ihre Sympathie gilt Lededje, doch Joiler Veppers wird noch für die größere Sache gebraucht.
Einmal mehr greift Banks also das Motiv vom Kampf der Ideologien auf, und einmal mehr - nach den sadistischen Azadianern in "Das Spiel Azad" oder den brutalen idiranischen Eroberern in "Bedenke Phlebas" - steht das Gegenstück der Kultur für eine Weltanschauung, die Gewalt gutheißt; gerne religiös verbrämt. Für die Kultur hingegen gilt Schmerz per se als amoralisch, sie zeigt sich wie gehabt hedonistisch, säkular, antihierarchisch und dezentral organisiert, trotz einiger dunkler Flecken in der Vergangenheit (aus denen man immerhin gelernt hat) unbeschwert und in Bezug auf Geheimnisse aller Art diskret wie ein Kreuzfahrtschiff voller besoffener Dänen. Es war ihr ihrem Wesen nach unmöglich, sich von Gesetzen einkerkern, von Geld arm machen oder von Führern in die Irre leiten zu lassen, heißt es in "Bedenke Phlebas", dem Roman, mit dem Banks 1987 seinen Zyklus begann, über die Kultur. Und es ist die vielleicht größte Leistung des Autors, dass er eine Gesellschaft schildert, die sich ganz dem Vergnügen und der Selbstverwirklichung hingibt und deswegen eben nicht - wie dies bei anderen AutorInnen praktisch die Regel wäre - in Dekadenz versinkt. Ganz im Gegenteil: Die BürgerInnen der Kultur erweisen sich gerade wegen ihrer uneingeschränkten Freiheit als hochintelligent und lebensfähig. Das darf man durchaus als politisches Statement werten.
Die Sprache, in der Banks seine Romane erzählt, ist der Weltanschauung der Kultur angemessen: Stets schwingt eine humorvolle Note mit, nichts wird allzu ernst genommen, auf Formalitäten wird gepfiffen. Vergnügt liest man, wie der statusbewusste Joiler Veppers von der Botschafterin der Kultur in ihrem Büro empfangen wird ... in der Aufmachung einer barfüßigen Putzfrau, und mit ihrem Kind an der Hand obendrein, wie unsagbar würdelos! Und die KIs, aufgrund ihrer überragenden Intelligenz de facto die wichtigsten BürgerInnen der Kultur, pflegen ohnehin eine ganz eigene Art von Humor - wie unter anderem das Raumschiff Aus dem Rahmen normaler moralischer Restriktionen fallend demonstriert, das Lededje auf ihrer Mission unterstützt. Die exzentrischen und sich manchmal durchaus unfreundlich verhaltenden KIs geben mitunter Rätsel auf. Ganz anders als bei Neal Asher, der in seinen Romanen eine im Prinzip sehr ähnlich organisierte Zivilisation entwirft, muss man ihnen jedoch nicht misstrauen, sondern kann sich darauf verlassen, dass sie die Grundgedanken der Kultur in bedingungsloser Loyalität ausleben.
Ein paar Nebenfiguren gibt es in "Krieg der Seelen" auch noch. Prin und Chay sind zwei Angehörige einer Zivilisation, die sich eine Hölle gebastelt hat - und was sie in dieser erleiden müssen, schildert Banks detailreich bis zum Würgereiz. Alles für die gute Sache natürlich. Zu guter Letzt wäre da dann noch der Krieger Vatueil, den wir bei der Belagerung einer Burg kennenlernen, um ihn dann auf vielen weiteren Kampfschauplätzen wiederzutreffen. Das sind die am wenigsten aufregenden Kapitel, und fast scheint es, als wäre Banks derselben Meinung gewesen, ätzt er doch einmal: Gegen langwierige Multiplayer-Kriegsspiele gab es seiner Ansicht nach nichts einzuwenden (...), aber er war der Ansicht, dass das, was in einem solchen Spiel geschah, kaum eine Rolle für die Realität spielte. Und genau wie ein solches MMORPG lesen sich die repetitiven Passagen um Vatueil auch, scheinbar losgelöst vom Rest des Buchs. Letztlich fügen sie sich natürlich trotzdem in den Rahmen ein, und mit der wahren Identität Vatueils serviert Banks treuen Altfans noch ein Zuckerl - und zwar mit dem LETZTEN WORT des Romans, also nicht versehentlich ans Ende blättern! Für alle anderen LeserInnen spielt dies übrigens keine Rolle.
Das Gesamturteil fällt einfach aus, mag es "Kultur"-LiebhaberInnen auch wie ein Sakrileg vorkommen: Ich habe "Krieg der Seelen" gemeinsam mit dem Klassiker "Bedenke Phlebas" gelesen. Das hier hat mir besser gefallen.