Bissig: Silvia Meisterle (li.), Hilde Dalik. Foto: Reismann

Foto: Erich Reismann

Wien - Der Frauenschwank Jackpot der Schweizerin Réjane Desvignes mag seine ärgerlichen Seiten haben. In ihm hüpfen vier Frauen von den je unterschiedlichen Sprossen der sozialen Stufenleiter herunter. Sie bilden eine lose Interessengemeinschaft, wobei der Austausch von Pikanterien die Klebemasse bildet.

Man könnte mit Blick auf die vier Grazien sogar von einer Solidargemeinschaft sprechen. In die Wiener Kammerspiele hat Igor Bauersima (Regie und Ausstattung) ein kommunales Paradies mit dezenten Verfallsspuren hineingebaut. Der öffentliche Park mit den Efeuranken vor bröckelndem Verputz, mit dem knorrigen Laubbaum als Schattenspender präsentiert die männerabgewandte Seite der Erde.

Voilà, scheinen Stück und Inszenierung unisono auszurufen: Da habt ihr eure Welt ohne Männer! Die mitgebrachten Kinder bleiben unsichtbar, sie werden von ihren Müttern höchstens mit abwehrenden Gesten zu den Enten am Weiher hinübergeschickt.

Die zu sich selbst gekommene Weiblichkeit bevölkert den vollkommenen Garten Eden. Die Kindchen werden kurz taxiert, dann geht man zu den wirklich wichtigen Dingen über. Ein Fernsehkomiker namens Shapiro ist wieder zu haben! Ella (Hilde Dalik), die blonde Sekretärin und mutmaßlich die Jüngste der vier, verzehrt sich wonniglich nach dem prominenten Spaßmacher. Dabei wiegt sie ihre Hüften, als wäre sie der zirka dreieinhalbten Staffel von Mad Men entschlüpft.

Womit wir bei den Ärgerlichkeiten wären. In Mad Men, einer Kultserie aus dem US-Bezahlfernsehen, werden Frauen mit Korbfrisuren und besonders ausladenden Hüften in die frühen 1960er-Jahre zurückgebeamt, um sie wenigstens in der Rückschau gefügig zu halten.

Lob der Notgeilheit

Chefsekretärinnen leben ihre mütterlichen Anwandlungen an schicken Kerlen aus, die sich aus reiner Freundlichkeit sexuell erkenntlich zeigen. In Desvignes' Schmonzette wird dort weitergemacht, wo Mad Men nicht vom Fleck kommt: Ihr Stück weiß es besser, weil es aktueller ist.

Es braucht gar keine auftretenden Männer, um Frauen als notgeil zu denunzieren. Drei der Damen verbünden sich gegen die vierte, abgekochteste unter ihnen (Silvia Meisterle), weil sie Grund zu der Annahme haben, Vivi spanne ihnen die Männer aus. Lustigerweise ist es aber ein- und derselbe: ein tätowierter, dauerbedröhnter Eisverkäufer.

Die Stuten fletschen die Zähne. Das Baby der vermeintlichen Übeltäterin wird, obwohl in Obhut gegeben, im Gebüsch versteckt. Es gibt unzählige Anlässe, um möglichst verwegen auf hochhackigen Pumps über das Grün zu staksen. Obendrein ist die reifere Inès (Sona MacDonald) in derart gesegneten Umständen, dass sie, ein paar Komödienverwicklungen später, ihr Kind unter dem schattigen Baum gebären muss.

Das Paradies gleicht einem Tollhaus: Die weibliche Weltregierung zeigt sich unfähig, die Mindestanforderungen an ein friedliches Zusammenleben zu erfüllen. Das alles wäre kein Beinbruch, würden einem Malheurs wie das Platzen der Fruchtblase nicht unausgesetzt als veritable Spaßvergnügungen vor Augen geführt.

Gegen die Zumutungen des Textes verblassen die handwerklichen Meriten. Der "Umbau" der Kammerspiele in ein modernes Komödienhaus ruft Baustellendepressionen hervor. (Ronald Pohl, DER STANDARD - Printausgabe, 28./29. Jänner 2012)