Zur Person: Henriette Riegler ist langjährige Südosteuropa-Expertin des Österreichischen Instituts für internationale Politik (oiip).

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Was bedeuten die zwei herausragenden Ereignisse der letzten Wochen in der Südosterweiterung - die Zustimmung des kroatischen Elektorats zum EU-Beitritt des Landes sowie die Ankündigung der diesjährigen Beendigung der internationalen Supervision des Kosovo? Dass wir über kurz oder lang alle Nachfolgestaaten in der Europäischen Union sehen werden, wie es die Union noch vor wenigen Jahren emphatisch als ihr Politikziel formuliert hat? Sind wir Zeugen des Beginns einer neuen Ära in den Beitrittsbemühungen der Nachfolgestaaten Jugoslawiens oder handelt es sich eher um ein zufälliges Aufeinandertreffen ohne strategischen Hintergrund? Ersteres hofft man, Zweiteres erscheint angesichts der aktuellen Lage wahrscheinlicher.

Kroatien als "natürlichster" Kandidat

Wenn denn die Erweiterung der Union ihre mehr evolutionäre als revolutionäre Kernpolitik darstellt, figuriert Kroatien nach Slowenien als der "natürlichste" Kandidat: Es ist politisch, ökonomisch und auch kulturell - und vergessen wir nicht die kulturelle Ähnlichkeit als ein ungeschriebenes Beitrittskriterium - dem mitteleuropäischen "Club-Bestand" ähnlicher als die anderen Nachfolgestaaten. Freilich geht es nach der prinzipiellen Zustimmung der EU, einem Land Kandidatenstatus zuzugestehen, auch darum, einen im Laufe der Erweiterungsgeschichte immer aufwendiger gewordenen Beitrittsprozess zu absolvieren. Diese Hürden hat Kroatien überwunden, jetzt kann nur noch das slowenische Veto - das schon Kroatiens Beitrittsverhandlungen erheblich verzögert hat - dem Beitritt im Wege stehen. Nach der Wahl Janez Jansas zum slowenischen Ministerpräsidenten am Wochenende könnte Kroatiens Beitritt sich genau deshalb erneut verzögern. Kroatien ist hier nicht allein: Auch die Blockade Mazedoniens durch Griechenland ist der bilaterale Streitfall, der die europäische Entwicklung des Landes seit Jahren torpediert. 

Kandidatenstatus

Damit sind die nächsten sicheren zukünftigen EU-Mitglieder - wer? Montenegro, Serbien? Montenegro wird sicherlich als Nächstes den Kandidatenstatus erhalten, ob das für Serbien genauso gilt? Seit Beginn seiner Beitrittsbemühungen hat sich Serbien durch seine Kosovopolitik diese sicher scheinende Chance wieder und wieder verdorben. Vor die Wahl gestellt zwischen der Mitgliedschaft in der EU und einem offen oder strukturell gewaltsamen Anschluss des Kosovo an Serbien, entschieden sich die politischen Eliten Belgrads immer für Letzteres. Zeitweise schien es, als ob die hier überaus tolerante EU diese Reihung in der nationalen Agenda mit einer Politik des Augezudrückens sogar hinzunehmen bereit war. Im März wird ein weiteres Mal über die Kandidatur Serbiens beraten werden - eine Änderung der serbischen Kosovopolitik ist bis dahin nicht zu erwarten.

Was heißt dies nun für die kosovarischen Europahoffnungen? Das zweite wichtige Ereignis in den Bemühungen der Nachfolgestaaten um den EU-Beitritt war die Bekanntgabe der internationalen Gemeinschaft, ihre Supervisionstätigkeit mit Ende des Jahres einzustellen und dem Kosovo damit vollständige Souveränität einzuräumen. Und genau dies ist in Wahrheit das basale Beitrittskriterium - Souveränität. Darum kann Montenegro der nächste Beitrittskandidat sein, sind die Chancen Bosnien-Herzegowinas aber gering, in seiner jetzigen Verfassung je EU-Mitglied zu werden. Bosnien-Herzegowina unverzichtbare Souveränität zu geben kann jedoch nicht über einen einfachen Rückzug der internationalen Gemeinschaft erreicht werden, zu wenig engagiert hat man einer inneren ethnischen Aufteilung des Landes nach dem Krieg zugestimmt und bisher wenig getan, um staatliche Reintegration zu betreiben.

Souveränität zu besitzen und sie den Nachbarn zuzugestehen ist die unverzichtbare Beitrittsreifeprüfung - und sie sollte es auch sein. Das Ringen darum kann ohne EU nicht stattfinden, aber eine EU, die dazu in der Lage ist, muss ihren eigenen Mitgliedern Erweiterungssolidarität abverlangen. Zurzeit kann oder will sie das nicht. (Gastkommentar von Henritte Riegler, 30.1.2012)