"Volksmarkt" statt Friedhof: In den 1980er-Jahren planierte die Stadtverwaltung Yesilköys armenische Gräber, nun ordnete ein Gericht die Rückgabe an. Einer der größten Märkte Istanbuls ist seit längerem am Rand von Yesilköy, nahe dem Atatürk-Flughafen.

Foto: Standard/Bernath

Ein Beispiel für die Rückgabe von Grund, die nun von der Regierung erleichtert wird.

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Der "Volksmarkt" hat schon bessere Tage gesehen, und genau genommen hätte er nie da sein dürfen. Mehr als die Hälfte der Läden des "Halk Pazari" in Yesilköy, am Westrand von Istanbul, ist geschlossen, durch die trüben Dachfenster lässt sich der Winterhimmel nur erahnen. Jetzt ist sowieso Schluss: Ein Gericht hat den Grund, auf dem der Markt steht, der armenischen Gemeinschaft zugesprochen. "Rechtsexperten unterstützen die Position der armenischen Stiftung Yesilköy" , gibt Ates Erzen, der Bürgermeister, zu. Denn der "Volksmarkt" mit seinen Fischläden war eigentlich ein Friedhof.

1955 beschlagnahmte der türkische Staat das Areal, 30 Jahre später lässt die Stadtverwaltung Beton über die Gräber gießen. Die Leichen sind vorher umgebettet worden. "Wir wissen nicht, wohin" , sagt Garo Paylan, Mitglied der armenischen Stiftung in Yesilköy, dem "grünen Dorf" , wie der Name übersetzt heißt.

Überraschendes Dekret

Es war eine zynische Botschaft der Türkei an ihre nichtmuslimischen Minderheiten - Armenier, Griechen, Juden, assyrische Christen oder Chaldäer: Nicht einmal für die Toten ist Platz in der Republik, die nur türkische Staatsbürger kennt. Doch auch damit soll Schluss sein. "Die Tage sind vorbei, als unsere Bürger wegen ihrer Religion, ihrer ethnischen Herkunft oder ihres verschiedenen Lebensstils unterdrückt wurden" , erklärte der konservativ-muslimische Premierminister Tayyip Erdogan, als seine Regierung im Sommer 2011, für viele unerwartet, ein Dekret erließ, das erstmals die Rückgabe von Grundbesitz oder Entschädigungszahlungen an die Minderheiten im Land erlaubt.

Umso mehr fühlt sich die türkische Regierung nun ungerecht behandelt. Wütend protestierte sie gegen das Gesetz des französischen Parlaments, das die Leugnung des Völkermords an den Armeniern im Osmanischen Reich zur Straftat erklärt. Alle hätten gelitten, relativierte Ahmet Davutoglu, der Außenminister, der gern in nostalgischer Erinnerung an frühere Macht und Größe der Osmanen schwelgt.

Zwei Jahre prozessiert

Zwei Jahre lang prozessierten die Armenier wegen ihres Friedhofs in Yesilköy, das einmal San Stefano hieß. Möglich, dass sie sich den Rechtsstreit mit der Stadt Istanbul erspart hätten, wenn sie nur auf das Regierungsdekret vom August 2011 gewartet hätten. Erdogans Regierung feiert es als historische Wiedergutmachung.

Tatsächlich ist die Lage aber sehr viel komplizierter, wie sich seither zeigte. Rund 1000 Rechtsansprüche auf Grundeigentum fechten in der Türkei allein die armenischen Stiftungen vor Gericht aus - es geht um Schulen, Krankenhäuser, Friedhöfe, Brunnen, Wälder. Ihre Erwartungen an das Dekret sind gering. "Wir bekommen vielleicht zehn bis 20 Objekte zurück" , sagt Paylan. Wieder einmal gibt es Einschränkungen und Auflagen. Nur eine Handvoll der rund 160 nichtmuslimischen Stiftungen hat bisher die Restitution von Eigentum beantragt.

"Dieses Dekret bringt nicht die Lösung für ein historisches Problem" , meint der armenische Anwalt Sebu Aslangil. Seit der Kandidatur für den EU-Beitritt basteln türkische Regierungen an Gesetzen, um die Enteignungen der vergangenen Jahrzehnte rückgängig zu machen. Doch immer bleiben Lücken. "Wenn der Staat wirklich die Absicht hätte, Frieden mit seinen Minderheiten zu machen, dann wäre das ganz einfach" , sagt der Anwalt Aslangil. "Doch das war nie die Sichtweise des Staates. Sie machen kleine Schritte, warten, was passiert, und machen dann wieder kleine Schritte." Denn die Regierung stehe immer unter dem Druck der türkischen Öffentlichkeit, erklärt Aslangil. "Die Türken glauben stets, die Regierung erweise den Minderheiten eine besondere Gunst. In Wahrheit aber sollen sie nur zurückbekommen, was ihnen schon einmal gehörte."

1935 mussten sich die nicht-muslimischen Glaubensgemeinschaften in "Stiftungen" organisieren, die bis heute einer staatlichen Behörde unterstellt sind. Das Dekret vom August 2011 löst - anders als von der Regierung behauptet - nicht alle Fragen des verlorenen Grundbesitzes, erklärt Aslangil. Die Stiftungen können nur die Rückgabe von Eigentum beantragen, das der Staat beschlagnahmt hat oder das an den Staat fiel, nachdem "Nichttürken" 1974 das Recht auf Eigentum aberkannt worden war. Grundbesitz, der an den Spender zurückgegeben werden musste oder an dessen Erben fiel, ist verloren. Ebenso jener von Stiftungen, die im Lauf der Jahre vom Staat zusammengelegt wurden.

Laki Vingas, ein griechischer Unternehmer, der erstmals als Repräsentant der Nichtmuslime deren Interessen in der türkischen Regierung vertritt, sieht wohl diese Mängel, ruft aber Christen und Juden zum Umdenken auf. "Wir sollten aufhören, uns dauernd zu beklagen. Dieses Dekret ist ein großer Schritt vorwärts" , sagt er. "Wir müssen aktiver und offener werden". (Markus Bernath aus Istanbul/DER STANDARD, Printausgabe, 31.1.2012)