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Letzte Vorbereitungen im Orgelsaal, bevor es zum Eröffnungswalzer geht.

Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

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Während die Stimmung vor dem Auftritt recht angespannt ist, wird danach gemütlich gefeiert wie in einem Park.

Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Ob es denn keine Möglichkeit gäbe, über den Opernball zu berichten, ohne dem Baumeister eine Bühne zu geben, fragte nach der letzten Kolumne eine Leserin. Es war nicht das erste Mal - auch Kollegen, die sich tagtäglich an den "Frontlinien" der Buffets des Sinnlosen und der diese bevölkernden Event-Existenzen herumschlagen müssen, kennen diese Frage zur Genüge.

Und haben darauf eine Standardantwort: "Ja, aber." Denn natürlich lässt es sich in und aus der Oper hervorragend Geschichten erzählen, in denen die schreckliche nette Familie samt dem obligaten Mix aus Mietgastirrsinn, verwandtschaftlichen Kalamitäten, Ernst-Strasser-Englisch, Protokoll-Hoppalas und diversen Stil-GAUs keine Rolle spielt. Bloß: Wenn alle lugnern, kann man schwer auslassen, wonach alles giert und und wohin alles stiert. Denn auch (und gerade) jenes Publikum, das von sich behauptet, keinerlei L-Interessen zu verfolgen, weiß stets genau, wer im Clan welche Rolle spielt, was wann wo geschah - und wieso das alles keiner braucht.

Gezielt wegschauen

Oder, um ein sehr altes Dominic-Heinzl-Zitat (aus seiner ATV-Zeit) sinngemäß zu strapazieren: "Wer sagt, dass er wegschaut, muss vorher hinschauen - sonst weiß er ja nicht, wo man wie wegschauen soll." Und die Autounfall-These vom Nichtwegschauen-Können hat Folgen: Lugner sorgt (immer noch) für Quote und Zugriffe. Und auf die verzichtet eben kein Medienunternehmen freiwillig.

Anders gesagt: Hätte ich die ersten drei Absätze weggelassen und begänne diese Kolumne genau hier, wäre das inhaltlich schlüssig - aber es gäbe einen messbaren Unterschied an Zugriffen und Reaktionen.

Ein schönes Märchen

Denn dort, wo ich den Opernball tatsächlich und mehrmals als stimmungsvolles und schönes Märchen einer zauberhaften Wiener Nacht erlebt habe, ist nicht nur der Unsägliche nie zu sehen - auch die Kollegen von Print, Funk & Fernsehen verirren sich so gut wie nie hierher. Warum? Wohl auch wegen der drei Anfangsabsätze.

Denn der Orgelsaal ist mitnichten ein winziges verstecktes oder geheimes Kammerl. Der Saal ist riesengroß und liegt - quasi - gegenüber dem zweiten oder dritten Stock vom Hotel Sacher: Am hinteren Ende der Oper, ziemlich weit oben. Hier haben die über 300 Debütantinnen und Debütanten vor und während des Balls ihr Hauptquartier.

Mut-Tankstelle

Hier werden vor der Eröffnung ein letztes Mal die Outfits, die Frisuren und die Krönchen justiert, hier wird ein letztes Mal Aufstellung genommen. Hier wird gezittert und gebangt. Hier wird ein letztes Mal von Choreographen und Tanzlehrern Mut gemacht und Selbstvertrauen in der Großpackung verteilt. Denn hier kann man die Angst förmlich riechen. Nicht als Schweiß- oder Körpergeruch - sondern als etwas Anderes, schwer Festzumachendes. Aber etwas, das fast physisch greifbar ist. Und nicht bloß in der Luft liegt.

Als ich das erste Mal hier war, begleitete ich Desi Treichl-Stürgkh eine Nacht lang durch die Oper. Und nirgendwo anders passte der Titel "Ballmutter" besser und präziser: Hier eine Umarmung, dort ein gemeinsames Foto und für jedeN, der/die es brauchte (also alle), dieses "Du kannst heute die Welt aus den Angeln heben"-Lächeln, mit dem man dem kollektiven Hyperventilieren und der Panik vor Lapsus, Flatus oder Kollaps ganz gut Paroli bieten kann. Dass die gleichen "Kids" dann, Minuten später, in Frack und Ballkleid so souverän im Ballsaal einmarschieren würden, als hätten sie nie etwas anderes getan: Hier oben hätte ich darauf keinen Cent verwettet.

Die Verwandlung

Das sei, lachte mir Treichl-Stürgkh damals zu, hier jedes Jahr so. Die Verwandlung vom kleinen hässlichen Entchen zum schönen, stolzen Schwan fände eben nicht äußerlich, sondern innerlich statt. Irgendwo am Weg vom Orgel- in den Opernsaal. Und sie habe noch nicht rausgefunden, wo genau der Schalter umgelegt werde.

Doch auch nach der Eröffnung ist der Orgelsaal eine Märchenwelt: So angespannt und nervös die jungen Tänzer vorher sind, so entspannt sind sie danach. Es dürfte so etwas wie Tradition haben, dass viele Picknickdecken und -körbe hierher mitbringen. Und Tupperware-Dosen voll Brötchen, Kuchen, Lachs, Salaten und sonstigem Zeug. Saft-Tetra-Paks stehen dann neben Sektflaschen, Cola-, Bier- und Energy-Drink-Dosen.

 

Wären da nicht der Holzboden und die hohe Decke und trügen nicht alle Frack und Ballkleid: man könnte glauben, an einem sonnigen Frühlingssonntagnachmittag auf einer Wiese im Augarten gelandet zu sein. Einzig Frisbeewerfer, Boulespieler und Slackline-Geher fehlen da noch. Und ein paar Bäume.

Vor Ort fiel uns da eines gar nicht auf. Weil das Bild in sich stimmig ist. Aber dann, als Frau Desi mich wieder aus diesem Paralleluniversum hinunter, in die echte Opernballwelt, führte, fragte Standard-Fotograf Mathias Cremer sich, Treichl-Stürgkh und mich, wieso er, der Opernballveteran, noch nie von diesem Ort gehört hätte. Treichl-Stürgkh lachte. Und zuckte dann nachdenklich, fast bedauernd, mit den Schultern. "Ich weiß es auch nicht. Aber für mich ist das hier einer der Momente, die mir jedes Jahr bestätigen, dass dieser Ball eben doch etwas Besonderes ist."(Thomas Rottenberg, derStandard.at, 31.1.2012)