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Staatssekretär Tarcisio Bertone - hier mit gefalteten Händen bei einer kirchlichen Feier - erhielt vatikankritische Briefe, die an die Presse gelangten. Der Verfasser wurde in die USA versetzt.
Eine Affäre um Korruption und Misswirtschaft im Vatikan bringt Staatssekretär Tarcisio Bertone in Bedrängnis. "Der Kardinal wankt", schrieb La Repubblica und berichtete von "Rücktrittsgerüchten". Im Vatikan wird befürchtet, dass die ungeschickte Amtsführung des Staatssekretärs Schatten auf das Pontifikat Benedikts XVI. wirft. Mit Nachdruck wird im Kirchenstaat nach dem Leck geforscht, durch das mehrere private Schreiben des Vatikan-Verwalters Carlo Maria Viganó an den Papst und Bertone an die Presse gelangten.
In den Briefen beklagt sich der Erzbischof über Unterschlagung, Misswirtschaft und Korruption im Vatikan und zählt eine Reihe von Fällen auf, die vom Sender La 7 in einer TV-Dokumentation aufgegriffen wurden. Vatikan-Sprecher Federico Lombardi reagierte mit einem bisher einmaligen Schritt: Er drohte La 7 mit einer Klage - Gerüchten zufolge auf Bertones Weisung. Auf Viganós Vorwürfe ging Lombardi nicht ein.
Viganó, der als Finanzverwalter den Haushalt des Vatikans aus den roten Zahlen geführt hat, wurde nach seiner Kritik auf Bertones Betreiben als Nuntius nach Washington entsandt. Angesichts der Verdienste Viganós stieß die als Beförderung kaschierte Strafversetzung intern auf Kritik und Unverständnis - zumal der Betroffene den Papst ersucht hatte, nicht in die USA versetzt zu werden.
Haben anonyme Gegner des Staatssekretärs der Presse Viganós Briefe zugespielt, um Bertone zu desavouieren? Kritiker werfen dem selbstgefälligen Kardinal eigenmächtige Entscheidungen und ungeschickte Diplomatie vor.
Umstrittene Personalwahl
Der 75-Jährige erhielt sogar eine Morddrohung - ein im Kirchenstaat unerhörtes Ereignis. In dem Schreiben, das offenbar von einem intimen Kenner des Vatikans stammte, hieß es, er sei unfähig, Entscheidungen zu treffen. Mitarbeiter wähle er ausschließlich auf Basis persönlicher Freundschaft aus. Nach Gerüchten widersetzt sich Bertone derzeit der vom Papst beschlossenen Ernennung des Bischofs Francesco Moraglia zum neuen Patriarchen von Venedig und favorisiert seinen Bewerber Aldo Giordano.
Der Fall Viganó, so Vatikan-Insider Andrea Tornielli, deute darauf hin, dass "Intrigen und Machtkämpfe weiterhin anhalten". Dass Bertone nicht immer ein glückliches Händchen hat, bewies er, als er Homosexualität und Kindesmissbrauch miteinander in Verbindung brachte. Der Vatikan bemühte sich danach um Schadensbegrenzung. (DER STANDARD-Printausgabe, 01.02.2012)