Nach dem Abschluss des Fiskalpakts ist noch keineswegs sicher, ob die darin fixierte Schuldenbremse auch wirklich funktioniert.
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Es ging schon gegen Mitternacht beim EU-Gipfel, als eine sichtlich zufriedene deutsche Kanzlerin sich bei ihrer Abschlusspressekonferenz am Montag über die "wirkliche Meisterleistung" des von 25 Teilnehmerstaaten beschlossenen Fiskalpaktes ausließ. Dessen Inhalt sei "richtig gut", schwärmte Angela Merkel. Damit sei "ein wichtiger Schritt zu einer Stabilitätsunion gemacht". Die Regeln, die Staatsschulden künftig in Grenzen zu halten, seien "bindend und eng".
Es wird eine Schuldenbremse geben, möglichst in Verfassungsrang; und Klagemöglichkeit gegen Verstöße beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg. Der soll hohe Strafen verhängen können, bis zu 0,1 Prozent der Wirtschaftsleistung eines Landes. Das würde bei Österreich 300 Millionen Euro Buße ausmachen, bei Frankreich zwei Milliarden. Alles klar also, könnte man meinen.
Zu diesem Punkt machte die Kanzlerin aber selber eine einschränkende Bemerkung, die die Skepsis von Experten bestärkt, ob der Pakt überhaupt je funktionieren kann wie angekündigt.
"Aus rechtlichen Gründen" werde die EU-Kommission selber (sie ist für Gemeinschaftsrecht und Euro-Defizitverfahren hauptzuständig) nicht klagen können, erklärte die Kanzlerin, sondern nur die am Fiskalpakt teilnehmenden Länder. Das sei vereinbar. Dazu werde man "bis März eine Prozedur festlegen".
Will heißen: Diese Verquickung von EU-Recht, in dem der Stabilitätspakt gilt, mit dem auf bilateraler Basis abgeschlossenen Fiskalpakt ist keineswegs so unproblematisch, wie die Regierungschefs gerne möchten.
Die größere Unsicherheit ergibt sich aber daraus, dass erst einmal alle 25 Teilnehmerstaaten den Pakt binnen eines Jahres in ihren nationalen Gesetzeswerken möglichst in Verfassungsrang umsetzen. Bisher gab es diesbezüglich Zweifel bei Irland oder den Niederlanden, wo Volksabstimmungen erfolgen können.
Zum eigentlichen Haupthindernis könnte aber Frankreich, der wichtigste Partner Deutschlands in der Eurozone, werden. Ohne Paris, heißt es in Brüssel, könne man den Fiskalpakt gleich wieder vergessen. Nun hat Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy den Pakt zwar mit besiegelt. Er kann aber bis zur Präsidentschaftswahl Ende April nicht mehr dafür sorgen, dass der Vertrag in Parlament und Senat ratifiziert wird. Das hat Sarkozy in Brüssel Montagnacht selber explizit bestätigt. Für eine Verankerung in der Verfassung brauchte Sarkozy eine Drei-Fünftel-Mehrheit im Kongress aus Nationalversammlung und Senat. Die hat er nicht.
Hollande sagt Nein
Und: Eine Stärkung Sakozys durch Wiederwahl wird immer unwahrscheinlicher. Sein sozialistischer Gegenspieler Francois Hollande liegt in Umfragen deutlich voran. Er kündigte im Wahlprogramm an, den "deutschen" Sparpakt nicht zu akzeptieren, ihn neu verhandeln zu wollen. Der Aspekt konjunkturfördernder Maßnahmen käme zu kurz.
Merkel zeigte sich diesbezüglich auf eine Frage des Standard "sehr gelassen". Auch für sie sei es nicht immer leicht gewesen, das zu übernehmen, was ihre rot-grüne Vorgängerregierung hinterlassen habe, etwas die EU-Beitrittsverhandlungen der Türkei. Aber sie habe sich "selbstverständlich in die Kontinuität gestellt, nur so kann Europa funktionieren.
Wenn durch einen Wechsel in einer Regierung alles in Frage gestellt wird, was beschlossen wurde, könnte Europa nicht existieren", sagte sie. Das könnte ein Irrtum sein. Denn es gibt ein Gegenbeispiel. Ende 1996 hatte Präsident Jacques Chirac mit Kanzler Helmut Kohl in Dublin den Euro-Stabilitätspakt fix vereinbart.
Im Juni 1997 triumphierten die Sozialisten bei den Parlamentswahlen. Lionel Jospin wurde Premierminister. Woraufhin Chirac eine Aufweichung des Europaktes verlangte: den "Pakt für Stabilität und Wachstum". Der kam, und wurde 2003 erstmals gebrochen. (Thomas Mayer aus Brüssel, DER STANDARD, Printausgabe, 1.2.2012)