Ein Blick aus dem Bundesrat in die Säulenhalle des Parlaments: Die zweite Kammer ist eine zentrale Drehscheibe zwischen kommunaler, nationaler und europäischer Politik, meint Stefan Schennach.

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Landespolitiker wünschen sich die Abschaffung des Bundesrats. Regierungsmitglieder denken an eine Verkleinerung des Nationalrats. Rutschen wir direkt in ein Österreich der Minister und Landeshauptleute mit einem lahmen Restparlament und ebensolchen Landtagen? Wollen einige schlichtweg den "mühsamen" Parlamentarismus schwächen und durch bequemere quasi autoritäre Strukturen ersetzen, mithilfe oder durch den Missbrauch von Einsparungspaketen? Die derzeitige Diskussion schädigt den Stellenwert der Demokratie, wie es extremistische Randgruppen niemals zustande gebracht haben.

Dabei ist gerade der Parlamentarismus in Zeiten einer europäisch und international vernetzten Politik wichtiger denn je. Seit Ausbruch der Krise wird dieser jedoch systematisch überrollt durch schnelle, oft selbst getriebene nationale und europäische Entscheidungsträger. Die Parlamente hetzen - teils ohnmächtig - den immer schneller vorgenommenen Beschlüssen hinterher und können kaum eine Diskussion über Inhalte und Folgen bewirken; sie werden zu nachgereihten Abstimmungsmaschinen degradiert.

Europa kann sich aber nur eine breite Akzeptanz erkämpfen, wenn die Parlamente stark vernetzt sind und die gewählten Vertreter der Bevölkerungen die Entscheidungen in den Grundprinzipien vorgeben und nicht nur nachvollziehen. Die Dominanz des "Merkozy-Europas" trägt autoritäre Züge. Gerade die Feuerwehraktionen im Zuge der Finanz- und Budgetkrisen haben das deutlich gemacht und die Parlamente in Zwangsjacken gesteckt. Immer schneller und kurzfristiger werden Entscheidungen getroffen, die auf Generationen Weichenstellungen vornehmen und gleichzeitig die Parlamente brüskieren.

Wem nicht mehr einfällt, als populistisch am Parlamentarismus zu sparen, "abschaffen" und "verkleinern" zu blöken, um von der falschen Seite Applaus zu erheischen, der missbraucht die demokratische Zukunft unseres Landes. Ungarn soll eine Warnung sein. Die Demokratie ist längst nicht mehr so stark in den Köpfen der Menschen in Europa verankert, wir leben in Zeiten mit großen Zukunftsängsten.

Daher muss es angesichts dieser Debatte in Österreich jetzt eine klare selbstbewusste Stimme des Parlaments geben, die sich gegen dieses abstoßende Mobbing von Parlamentarismus zur Wehr setzt und dagegenhält. Wir brauchen nicht weniger, sondern mehr Parlament und parlamentarische Rechte. Das Parlament mit seinen zwei Kammern muss die optimale Vertretung Österreichs auf den internationalen Foren garantieren.

Mitglieder des National- und Bundesrats vertreten schon seit Jahren in vielen internationalen Gremien Österreichs Interessen; dafür bedarf es beider Kammern, damit die Vertretung auch entsprechend repräsentativ und nachhaltig ist. Da müssten sich auch die Medien einmal ihrer journalistischen Ethik besinnen, ihr boulevardorientiertes Politiker-Bashing hinterfragen und die vielfältige Tätigkeiten des Parlaments auch sichtbar machen.

Doch die Medien haben die rasante Weiterentwicklung des Bundesrates in den letzten zehn Jahren und seine vielschichtige Bedeutung verschlafen. So wird Österreich im Europarat durch National- und Bundesrat repräsentiert, ebenso in der Cosac, der Vereinigung der Europaausschüsse der nationalen Parlamente.

Die Europapolitik fordert heute alle nationalen Parlamente heraus; ein echtes Zweikammerparlament wie in Österreich stellt daher einen wahren Glücksfall dar. Weder Parteien noch Länder haben den Bundesrat jemals so reformiert wie der Lissaboner Vertrag. Seit 1. Jänner gilt im Bundesrat eine neue Geschäftsordnung, die es ihm ermöglicht, eine tragende Rolle im europäischen Meinungsbildungsprozess zu spielen. Es gibt derzeit vier Subsidiaritätsrügen durch den Bundesrat und eine durch den Nationalrat. Der Bundesrat ist auf dem Weg, eine Europakammer zu werden.

Mehr als ein Nebenjob

Mitglied des Bundesrates zu sein ist daher kein Nebenjob zu einem Landtag oder einer Landesregierung. Das ist eine vielfache intensive Vernetzungstätigkeit auf unterschiedlichen Ebenen. 100 bis 150 EU-Akten kommen täglich ins Parlament, 20.000 im Jahr, davon sind 5000 subsidiaritätsrelevant. Der Bundesrat stellt jetzt eine Drehscheibe zwischen den Ländern, den Kommunen und der europäischen Ebene dar. Österreich wird auch in anderen Gremien vielfach - manchmal ausschließlich - von Bundesräten vertreten. Bundesräte sind Delegationsleiter oder leiten parlamentarische Freundschaftsgruppen oder bilaterale Aussprachen.

Es ist höchst an der Zeit, dass National- und Bundesräte gemeinsam und selbstbewusst den demokratischen Parlamentarismus verteidigen. Die Herabwürdigung ihrer Tätigkeit etwa durch Nulllohnrunden ist ebenso abträglich wie das Schweigen gegenüber dem seit Monaten andauernden grauenhaften Mobbing von politischen Institutionen unter dem Scheinargument des Sparens, bei dem nur mehr die Inflation der Vorschläge Aufmerksamkeit verdient. Toll, was hier aus fehlendem Respekt vor dem Parlament so geboten wird, um dann bei der nächsten Wahl die Wahlbeteiligung zu bejammern.

Eine personell kleingeschrumpfte Abstimmungsmaschinerie Parlament, die einer Regierung keine Steine mehr in den Weg legt, folgt dem gefährlichen Motto, wozu wir uns überhaupt noch ein Parlament leisten. Vernetzte Demokratie und Meinungsbildung in Europa, Kontrolle und Grundwertegarantie verlangen jedoch die Rückkehr des Primats der gewählten und legitimierten Parlamente. Dafür braucht es ein starkes Zweikammerparlament in Österreich und ein starkes Europäisches Parlament damit auch eine breite repräsentative Vertretung Österreichs im Meinungsbildungsprozess in Europa und international garantiert ist.

Gäbe es den Bundesrat nicht, müssten wir ihn angesichts der Herausforderungen von heute erfinden. Reformen sind notwendig, das weiß jedes Mitglied des Bundesrats selbst, doch bei dröhnender Mobbingmusik versagt auch das Finetuning einer Reform. (Stefan Schennach, DER STANDARD, Printausgabe, 2.2.2012)