Am Abend des 4.
Februar
2003 war in Colin Powells
Suite im "Waldorf Astoria"
nur noch Panik. Der amerikanische Außenminister sollte
am nächsten Morgen vor dem
UN-Sicherheitsrat und vor
den Augen der Weltöffentlichkeit das Urteil der USA über
den Irak sprechen und Saddam Husseins Verfehlungen
auflisten: Bagdads Bemühungen um die Beschaffung von
Massenvernichtungswaffen,
die Existenz solcher Waffen,
die Täuschung der UN-Inspekteure, die Verbindungen
des Regimes zu Bin Ladens
Terrororganisation Al-Kaida.
Doch je tiefer sich Powell in
die Irakberichte der amerikanischen Geheimdienste wühlte, umso verzweifelter wurde
er. "Ich werde das nicht vorlesen. Das ist verdammter Blödsinn", platzte er laut Augenzeugen los.
Powell ließ Dutzende von
Seiten aus dem Material streichen, das ihm CIA und Pentagon auftischten. Ein Punkt in
der Beweisführung schien
ihm besonders schwach: die
Verbindungen des irakischen
Regimes zu Al-Kaida. Für die
Legitimierung des Kriegs als
weitere Etappe im Antiterrorfeldzug der USA seit dem 11. September 2001 waren sie
gleichwohl entscheidend.
Vor dem Sicherheitsrat erzählte Powell also die Geschichte von Abu Mussab Zarqawi, dem einbeinigen Al-Kaida-Funktionär, der ein Ausbildungslager im Nordosten des
Irak mithilfe der Ansar-al-Islam betriebe. Satellitenbilder
zeigten das Lager, das bei
Bombenangriffen später dem
Boden gleich gemacht wurde.
Wenn US-Agenten seither tatsächlich Verbindungen zwischen dem Irak und Al-Kaida
fanden, so hat sie Washington
nicht publik gemacht. Das
Gegenteil scheint eher der
Fall: Die zwei höchstrangigen
Al-Kaida-Funktionäre in US-
Gefangenschaft - Abu Zubaydah und Khalid Sheikh Mohammed - sollen ausgesagt
haben, dass Bin Laden dem
weltlichen Saddam Hussein
nicht verpflichtet sein wollte
und gegen eine Zusammenarbeit entschied. Für Al-Kaida
dürfte nach dem Irakkrieg einiges leichter sein - in der allgemeinen Anarchie könnte
sich die Terrororganisation
zumindest radiologisches Material beschafft haben. (Markus Bernath, DER STANDARD, Print-Ausgabe vom 11.6.2003)