Wieder einmal soll das Asylgesetz geändert werden; Ziel ist die Steigerung der Effektivität und Effizienz der Asylverfahren. So begrüßenswert es ist, wenn der Staat sich anschickt, zu sparen und seine Verwaltung effizient zu gestalten, so wichtig ist es auch, daran zu denken, dass die Sparsamkeit des Staates nicht Selbstzweck sein kann.

Der Staat hat in erster Linie dafür zu sorgen, dass die Menschen ihre Interessengegensätze nicht hemmungslos, sondern geordnet austragen; geordnet, wie es völkerrechtliche Verpflichtungen, die Verfassung und die übrigen Rechtsregeln gebieten. Griffige und einfache Lösungen sind da nur bedingt möglich, sie stoßen schnell an verfassungsrechtliche Schranken.

Das Asylgesetz ist dafür ein gutes Beispiel; seit 1997 musste der VfGH mehrmals Bestimmungen als verfassungswidrig aufheben. Wenn die anstehende Reform aber kommt wie geplant, wird sich der VfGH mit Regelungen konfrontiert sehen, die an den Grundfesten des Rechtsstaates rühren.

Ein Kernstück des Entwurfes ist der beinahe gänzliche Ausschluss der aufschiebenden Wirkung einer Berufung und damit die sofortige Vollstreckbarkeit des Bescheides der ersten Instanz. Erste Instanz ist das Bundesasylamt, das dem BMI untersteht. Entscheidet diese Behörde, dass ein Asylverfahren gar nicht durchzuführen ist oder dass ein Antrag abzuweisen ist, so bekommt der Antragsteller einen Bescheid und kann sofort mit behördlicher "Begleitung" aus dem Land geschafft werden. Dies selbstverständlich auch dann, wenn sich die Behörde geirrt hat; wenn sie also zum Beispiel irrigerweise angenommen hat, dass der Asylwerber im Herkunftsland keiner Verfolgung ausgesetzt ist. Das Risiko behördlicher Fehlentscheidungen trägt - in den meisten Fällen wohl endgültig - der Asylwerber.

Die betreffenden Regelungen sind in mehrfacher Hinsicht verfassungswidrig. Vor allem verletzen sie ein wesentliches Element des Rechtsstaates, der auch ein Rechtsschutzstaat ist. Seit Jahren betont der VfGH, dass Rechtsschutzeinrichtungen die Erlangung einer rechtsrichtigen Entscheidung gewährleisten und ein "Mindestmaß an faktischer Effizienz" aufweisen müssen. Diese Grundsätze sind im gesamten Verwaltungsrecht weit gehend eingehalten; wer wegen eines Parkdeliktes oder wegen Pflückens einer geschützten Blume mit einigen Euro Geldstrafe belegt wird, kann dagegen Berufung an den Unabhängigen Verwaltungssenat (UVS) erheben; selbstverständlich muss er erst zahlen, wenn der UVS seine Berufung abschlägig entscheidet. Wer aber als Asylwerber behauptet, im Herkunftsland zum Beispiel mit dem Tode bedroht zu werden, hat Pech, wenn sich das Bundesasylamt irren sollte. Die geplante Regelung verletzt auch Artikel 13 der Menschenrechtskonvention.

Ich sehe in diesem Punkt die folgenschwerste, aber nicht die einzige Verfassungswidrigkeit. Während im Allgemeinen im Verwaltungsverfahren der Grundsatz der materiellen Wahrheit gilt - die Behörde soll aufgrund des wahren und nicht aufgrund eines behaupteten Sachverhaltes entscheiden - und daher auch im Berufungsverfahren neue Tatsachen und Beweismittel vorgebracht werden können, soll das im Asylverfahren in Zukunft weit gehend ausgeschlossen sein. Wer einen Asylantrag stellt, kann gleich einmal bis zu 72 Stunden festgenommen werden; in dieser Zeit hat die Behörde zu prüfen, ob der Asylwerber überhaupt zum Asylverfahren zugelassen wird. Die Bestimmung verstößt gegen das Verfassungsgesetz zum Schutz der persönlichen Freiheit.

Der Entwurf legt auch fest, dass bestimmte Staaten jedenfalls als sichere Drittstaaten gelten und Asylwerber kein Asyl bekommen, wenn sie aus einem solchen einreisen. Die Regelung schließt in solchen Fällen eine Prüfung, ob der Betreffende in diesem Staat tatsächlich vor Verfolgung sicher ist, aus; im Jahre 2001 hat der VfGH eine solche Konsequenz als verfassungswidrig qualifiziert. Zahlreiche weitere Beispiele könnten angeführt werden; sie belegen, dass die Entwurfsverfasser mit grundlegenden Einrichtungen der Verfassung wenig zimperlich verfahren.

Dass die geplante Neuregelung im Ergebnis dazu führen muss, dass das dem Innenminister unterstehende Bundesasylamt als Asylbehörde erster Instanz erheblich an Gewicht gewinnt und die praktische Bedeutung des Unabhängigen Bundesasylsenates als Berufungsbehörde wesentlich eingeschränkt wird, soll auch nicht übersehen werden.

Man soll die Bedeutung dieser Entwicklung nicht unterschätzen: Was sich heute gegen eine Gruppe von Menschen richtet, kann sich morgen gegen eine andere richten. Sind die Dämme einmal gebrochen und wird akzeptiert, dass bestimmte Menschen außerhalb des Rechtsstaates stehen, ist es meist zu spät; man sollte hier aus der Geschichte Lehren ziehen. Auch in schwierigen Situationen hat daher zu gelten, was der VwGH vor genau vierzig Jahren aussprach: Es steht im Rechtsstaat kein Mensch über dem Recht und kein Mensch außerhalb des Rechts. (DER STANDARD, Printausgabe, 11.6.2003)