STANDARD: In Seibersdorf haben Sie mit einem Team ein Triebwerk für den Weltraum entwickelt, das die kleinsten jemals gemessenen Schübe bei Flügen im All erzeugt. Welchen konkreten Nutzen sehen Sie darin? Martin Tajmar: Wir ermöglichen so eine präzise Positionierung im All. Ein Beobachtungssatellit, der Gravitationsveränderungen auf der Erde beobachten soll, kann dann seine Position so genau halten, dass er die Messungen wirklich im gewünschten Umfang durchführen kann. Mit einem herkömmlichen Triebwerk ginge das nicht mit dieser Präzision.

STANDARD: Und wie gelingt nun diese präzise Steuerung des Satelliten?

Tajmar: Unter anderem verwenden wir ein Metall als Treibstoff statt des bisherigen explosiven Wasserstoff-Sauerstoff-Gemischs. Das ist elektrisch und, weil man Strom hervorragend steuern kann, auch gut regulierbar. So kann man diese punktgenaue Positionierung ermöglichen. Die Ausströmgeschwindigkeit dieses Treibstoffs ist wesentlich höher als beim Wasserstoff-Sauerstoff-Gemisch: 100.000 Meter pro Sekunde, im Vergleich zu einigen 1000. Das bedeutet, dass wir ein Hundertstel des Treibstofftanks brauchen, den wir bisher benötigt haben, um den gleichen Schub zu erzeugen. Nur um ihnen eine Vorstellung zu geben: Um eine dreijährige Mission durchzuführen, benötigt man so nur mehr Tanks, die so groß sind wie ein Daumen.

STANDARD: Die Nasa hat diese Technologie auch schon gekauft?

Tajmar: Ja, sie plant das Triebwerk für die Mission Lisa einzusetzen, die um 2009 startet. Damit will man Gravitationswellen entdecken, Schwingungen in Raum und Zeit, die von Albert Einstein schon beschrieben wurden. Dazu ist es nötig, dass drei Satelliten in exaktem Abstand zueinander positioniert werden. Ob sich das Triebwerk auch für eine geplante ESA-Mission eignet, die einen Satelliten zur Erdbeobachtung hinaufschicken will, wird sich im Sommer zeigen. Da sind wir in der ersten Projektphase.

STANDARD: Wenn sich diese Technologie durchsetzt, was könnte dann möglich sein?

Tajmar: Im Prinzip könnte man sogar dieses Antriebssystem in stark vergrößerter Form auch für bemannte Missionen - z. B. zum Mars - einsetzen. Mit gegenwärtiger Technologie würden Sie den Treibstofftank eines Fußballfeldes brauchen. Mit unserer Technologie könnten Sie den Treibstoff in einen Tank unterbringen, der einen Kubikmeter Umfang hat, das ist doch ein nicht ganz unbedeutender Unterschied. Das ist allerdings Zukunftsmusik - da müsste noch einiges passieren.

STANDARD: Was zum Beispiel meinen Sie da?

Tajmar: Vor allem müssen die Entwicklungen weitergehen, man spart momentan sehr in der Raumfahrt. Es sind politische Entscheidungen. Wenn China nun mit neuen bemannten Programmen startet, werden auch die Amerikaner wieder etwas mehr tun und danach auch die Europäer. Aber in der Gegenwart gibt es genug spannende Fragen, die wir lösen könnten, da muss man nicht an einen bemannten Raumflug denken. Mein Steckenpferd, die Gravitation etwa - hier sind einige revolutionäre Entdeckungen denkbar, wenn bestimmte von mir geplante Versuche gelingen.

STANDARD: Martin Tajmar, der Newton und Einstein des 21. Jahrhunderts?

Tajmar: Nein, aber es gibt da eine Anomalie, die sehr interessant ist. Wenn man die absichtlich erzeugen kann, dann könnte man die Gravitation auf der Erde eventuell in einem kleinen Maßstab im Labor beeinflussen.

STANDARD: Was würde das umgesetzt auf industrielle Anwendungen bedeuten?

Tajmar: Eine Spekulation in die vielleicht sehr weite Zukunft: Wenn man Gravitation im Labor im großen Stil beeinflussen könnte, würde das bedeuten, dass man zum Beispiel neue Metalllegierungen produzieren kann, die man bisher auf der Erde nicht herstellen konnte. Sie könnten auch riesige Einkristalle für die Halbleiterindustrie produzieren. Es würde eine ganz neue Spielwiese sein, die unendlich viele neue Möglichkeiten eröffnet - aber das liegt, wenn überhaupt, in der sehr fernen Zukunft.

----------------------------

Der 1974 geborene Wiener Martin Tajmar hat schon mit sechs Jahren gewusst, was er werden will: Physiker. Mit 23 war er Diplomingenieur, nicht einmal zwei Jahre später war er mit dem Doktor fertig - zum Thema Weltraumantriebe. Danach machte er den Master of Space Studies an der International Space University in Straßburg. Seine berufliche Laufbahn führte ihn bereits für einige Monate zur amerikanischen Raumfahrtbehörde Nasa.

Von 1998 bis 1999 war er Geschäftsführer der Austrospace, der Vereinigung zur Förderung der österreichischen Weltraumindustrie. Danach war er bei der Europäischen Weltraumagentur (Esa). Seit Oktober 2000 arbeitet er in Seibersdorf, seit 2001 ist er an der TU Wien Lektor. (Peter Illetschko/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 10. .6. 2003)