Schaufelt Schnee, um die Welt neu erzählen zu können: Regisseur Karl Markovics.

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Der Tod ist Schauspieler und Regisseur Karl Markovics Instrument, das Leben zu begreifen. Warum sein Vater für ihn den Kanzler-Job erträumt hat und wie man beim Schreiben zum Schöpfer wird.

Standard: Ich möchte mit Ihnen über den Tod, das Leben und das Glück sprechen.

Markovics: Gut.

Standard: Für die Recherchen zu Ihrem Film "Atmen" waren Sie mit der Bestattung Wien unterwegs. Wie alt war Ihre erste Leiche?

Markovics: Ende 70, ein alter Mann, in einem Spital. Er war schon bekleidet, bei ihm wusste ich: Da wird alles kontrolliert, da kommt jetzt der Sarg, der wird geöffnet, er hinein gelegt. Allerdings gleich im Nebenraum, vor dem Seziersaal, lag eine nackte Frauenleiche, Mitte 60, sehr korpulent. Mit ihr habe ich nicht gerechnet. Sie war wahrhaftig auf ihre Art, weil mit ihr noch nichts getan war. Sie war gerade erst so aus dem Spitalszimmer gekommen, vorbereitet für die Obduktion. Das war das Gegenteil von Ecce homo. Hier war ein Mensch. Es ist sehr erstaunlich gewesen: Da lag ein nackter Körper ausgebreitet, alles, was einen Menschen ausmacht – und trotzdem nichts mehr davon.

Standard: Das, was Sie das Nichtvorhandensein von Leben nennen. Waren Sie traurig?

Markovics: Überhaupt nicht. Es ist das Mysterium, angesichts dessen man fragt: Wo ist das Leben hin?

Standard: Wo ist es hin?

Markovics: Ich habe keine Ahnung, keine Antwort. Die Frage hat sich aber gar nicht aufgedrängt, es ging um das Wunder, dass das Leben weg ist. Ein sehr großes Erstaunen verbunden mit all dem, was wir von Kindesbeinen nach und nach über den Tod zu erfahren glauben und uns selbst fragen. Solche Momente entwickeln eine ganz besondere Art von Ehrfürchtigkeit, sind etwas ganz Besonderes. Angesichts des massiven Ereignisses des Todes, das man so absolut nicht begreift, versteht man auch die absurd erscheinende Form von Respekt, die man Toten selbst heute noch entgegenbringt. Etwa, wenn ihnen Einwegrasierer und Proviant mitgegeben werden, damit sie auf ihrer Reise ins Jenseits gut versorgt sind.

Standard: Der Tod ist Ihnen oft Thema, auch bei Lesungen von Thomas Bernhards Gedichten "In hora mortis" oder den "Toten" von James Joyce. Es geht Ihnen dabei immer ums Leben, sagen Sie.

Markovics: Ja, zentraler Punkt ist mir immer nur, das Leben zu begreifen. Auch in "Atmen" ist der Tod die große Negativ-Metapher für das Leben; der Film ist ein Film über das Leben.

Standard: Die Lethargie der jungen Hauptfigur endet angesichts des Todes, was schon sprachlich interessant ist...

Markovics: Ganz genau.

Standard: Sie mögen Herman Melvilles Erzählung "Bartelby, der Schreiber" so gern, da gibt es nicht nur lebensabgewandte Menschen, sondern sogar tote Briefe...

Markovics: Bartleby ist eine der schönsten Erzählungen, die es gibt und hat viel mit meiner Hauptfigur zu tun.

Standard: Bartleby hört auf zu existieren, indem er alle Aufforderungen, etwas zu tun mit dem Satz "Ich ziehe es vor, es nicht zu tun" quittiert. Ihre Hauptfigur in "Atmen" würde wohl sagen "Ich ziehe es vor, nicht zu leben."

Markovics: Ja, wenn die Geschichte nicht eine andere Wendung nähme.

Standard: Sie glauben, dass man am Tod das Leben lernt?

Markovics: So weit würde ich nicht gehen. Das Leben kann man schon nur im Leben lernen. Aber angesichts des Todes kann man begreifen, dass, wenn man etwas aus ihm lernen kann, dann über das Leben, vielleicht auch noch übers Sterben, aber sicher nicht mehr über den Tod. Über diese Schwelle hinaus kann ich im Leben nichts mehr begreifen.

Standard: Da fängt Glauben an?

Markovics: Ja, an dem Punkt kann man eine andere Art Erfahrung suchen, in Religion und im Glauben.

Standard: Sind Sie gläubig?

Markovics: Ja.

Standard: Woran glauben Sie?

Markovics: Das ist für mich ein weiteres großes Mysterium. Ich könnte und wollte das aber nicht ausformulieren, weil mir das Thema sowieso immer zwischen den Fingern zerrinnt. Jedenfalls enden meine Erfahrungen und Gedanken, zu denen es mich immer wieder treibt, nicht im Rationalen. Ich glaube aber auch nicht daran, dass es ein Leben nach dem Tod gibt, eine Wiedergeburt, einen Himmel oder eine Hölle. Aber ich habe sehr oft das Gefühl, dass eine höhere Verbindung besteht im Leben zwischen allen Geschöpfen. Es gibt einfach Dinge, die eine höhere Wertigkeit und Mächtigkeit besitzen als unser Verstand begreift.

Standard: Sie schreiben längst am Drehbuch für Ihren zweiten Film. Wovon wird er handeln?

Markovics: Ich kann noch nicht viel sagen. Vielleicht so: Es wird um Gott und die Welt gehen.

Standard: "Atmen" hat beim Österreichischen Filmpreis in sechs Kategorien gewonnen. Beunruhigt Sie Ihr Regieerfolg nicht auch? Sie müssen jetzt immer besser werden.

Markovics: Am Anfang habe ich mich nur gefreut über den Erfolg. Aber wenn man dann die nächste Arbeit beginnt, merkt man, dass der Erfolg auch eine Hypothek ist. Die Gefahr ist groß, dass man beginnt, taktisch zu denken, zu fragen: Was wird erwartet? Welche Erwartung erfüllt man, welche bricht man, um doch noch interessant zu sein? Du musst schnell wieder in den Zustand kommen, in dem dir das egal ist und du auf die Geschichte vertraust, die zu dir kommt.

Standard: Die Geschichten entstehen aus Bildern in Ihrem Kopf?

Markovics: Das Thema gibt sich vor. Dann versucht man, es mit all seinen Mitteln, Sinnen und Verstand in eine persönliche Form zu bringen. Aber das Thema taucht immer auf, dass das passiert, ist das Künstlerische, das Originäre. Künstlerische Vorstellung, ob filmisch, musikalisch, literarisch oder bildnerisch, funktioniert auf assoziative Weise. Kein Künstler auf der Welt setzt sich an den Schreibtisch und sagt: "Jetzt konstruiere ich erst einmal logisch und rational ein Thema."

Standard: Das Thema taucht aber nicht zufällig auf?

Markovics: Sicher nicht. Aber Zufall ist ein unendliches Thema.

Standard: Sie überlassen nichts dem Zufall, und gelten als sehr strukturierter Mensch und penibler Vorbereiter.

Markovics: Ich habe beide Seiten, eine sehr chaotische und eine sehr strukturierte. Es gibt Phasen, da skizziere ich nur, warte rein assoziativ auf Eindrücke und Gedanken, fahre herum, fotografiere, lese, gehe in Ausstellungen und Konzerte. Die daraus gewonnene halb bewusste Geschichte lasse ich dann in mir arbeiten, lasse sie mir Dinge über sich selbst erzählen. Dann gibt es die Phase, in der ich ganz strukturiert arbeite, mich zwinge, ganz nach Vorschrift in mein Drehbruchprogramm Namen einzugeben, die Dialoge, Szenen, Inhaltsbeschreibungen und in der ich die Geschichte dann ausarbeite. Wobei das Materialsammeln und Schreiben ständig ineinander übergehen.

Standard: Sie bezeichnen sich selbst auch als Perfektionisten. Was perfekt ist, ist vorbei, schreckt Sie das nicht?

Markovics: Ich bin Perfektionist, aber gleichzeitig überzeugt, dass es das Perfekte nicht gibt.

Standard: Sie streben also nur zum Perfekten hin.

Markovics: Absolut. Und es ist eine Triebfeder festzustellen, wie weit ich mich einem Punkt oder einer Zone des Perfekten annähere, vor der ich auch Angst hätte. Beim Perfekten anzukommen, an dem Punkt, an dem nichts mehr anderes geht, das hätte etwas Erschreckendes, da gebe ich Ihnen Recht. Da landet man wieder beim Tod...

Standard: Der das Leben perfekt macht.

Markovics: Und Vollkommenheit gibt, die nicht zu überbieten ist; nicht im materiellen Leben.

Standard: Ihre Mutter war Verkäuferin, Ihr Vater Buschauffeur und im Gemeinderat. Er wollte, dass Sie Bundeskanzler werden.

Markovics: Wollen ist übertrieben. Es war sein heimlicher Traum.

Standard: Warum?

Markovics: Er hat es aus einfachsten Arbeiterverhältnissen kommend dazu gebracht, ein Haus zu bauen, ohne Schulden zu machen, erlebte das Wirtschaftswunder, die sozialdemokratische Blütezeit unter Kreisky. Er war immer Parteimitglied, immer politisch aktiv, ein zutiefst überzeugter Sozialist. Gleichzeitig hat er aber immer, bevor er Brot angeschnitten hat, mit dem Messer das Kreuz in den Brotlaib geritzt – das hat für mich das Österreichische so auf den Punkt gebracht. Das hat er so von seiner Mutter, die aus einer christlichen Landbauernfamilie aus Mähren stammte, übernommen und auch von uns eingefordert.

Standard: Sie selbst wollten schon als Kind Schauspieler werden, Ihre erste Rolle war der Hans aus "Hans im Glück". War Ihre Liebe zur Literatur und zur klassischen Musik, die Sie als Gymnasiast entdeckt haben, Ihre Reaktion auf die einfachen Verhältnisse daheim?

Markovics: Mein Leseschub hat mit 14, 15 begonnen und hatte zwei Auslöser. Ich war eher ein Einzelgänger, weil ich meine Volksschulfreunde...

Standard:... mit denen Sie den Zauberlehrling inszenieren wollten, die aber abgesprungen sind...

Markovics:. ... ja, also die und das Gefühl von Vertrautheit habe ich mit zehn auf einen Schlag verloren. Ich war damals der einzige, der ins Gymnasium nach Wien gegangen ist, und diese Vertrautheit habe ich dort nicht mehr gefunden. Diese Schulfabrik und der Schulstress führten dazu, dass ich mich noch weiter zurückgezogen habe; ich kriege heute noch den Horror, wenn ich daran denke. Dazu kam mein extrem langer Schulweg zwischen eineinhalb und zwei Stunden. Diese Zeit der Fahrten und des Wartens schien mir so verloren zu sein, ich hatte nur noch das Gefühl, ich müsse Zeit absitzen. Da begann mich die Literatur zu retten. Zum einen wollte ich mich absetzen von dort, wo ich herkomme: aus Kapellerfeld, aus einer Arbeitersiedlung, aus einer Arbeiterfamilie. Wenn sie mich schon aufs Gymnasium schicken und der sicheren Vertrautheit entreißen, dachte ich wohl, dann werd' ich auch ein richtiger Gymnasiast, der Sartre liest und statt Peter Alexander Beethovens Violinkonzert hört. Meine Leidenschaft zur Klassik hat ihren Auslöser in diesem Gefühl mich abzusetzen gegen das, was mich daheim umgab, bevor es zur Liebe wurde. Und das Lesen hat mich überhaupt gerettet.

Standard: Ein Glück also, dass Sie Ihre Eltern aufs Gymnasium nach Wien-Floridsdorf geschickt haben.

Markovics: Ja.

Standard: Als Salomon Sorowitsch, den Sie in den "Fälschern" spielen, dem KZ entkommen sein Geld im Casino verspielt, sagt eine Frau zu ihm: "Du hast schlechtes Glück." Gibt es das schlechte Glück?

Markovics: Das Glück ist nicht schlecht, aber die Schlüsse, die man draus zieht, können gut oder schlecht sein.

Standard: War Ihr Vater später stolz auf Sie?

Markovics: Er war irgendwie stolz – aber nicht glücklich mit meiner Berufswahl. Das war eine Welt jenseits seiner Vorstellung. Leider ist er sehr früh gestorben, aber er hat noch meinen ersten großen Schub an Fernsehprominenz erlebt, über Kommissar Rex. Es hat sehr lange gedauert, bis er meine Berufswahl akzeptiert hat, aber damals hat er sich damit abgefunden.

Standard: Und Sie, sind Sie stolz auf sich?

Markovics: Nein, Stolz empfinde ich nicht. Man freut sich und ist glücklich. Stolz ist vereinnahmend und vereinsamend. Freude und Glück sind dagegen offen, das teilt man gern.

Standard: Da wären wir wieder beim Glück. Sie sagten einmal, Sie beschäftigten sich nicht mit dem "Mechanismus des Glücks", obwohl Sie nicht abergläubisch seien. Klingt wie: Nur nicht verschreien.

Markovics: Aber ich bin nicht praktizierend abergläubisch. Ich muss keinen Talisman küssen, bevor sich auf die Bühne geh'. Wobei, irgendwie erwischt es einen dann doch. Etwa jetzt beim Österreichischen Filmpreis: Da wurde dieses Kuvert geöffnet und ich dachte: "Nein, ich schau' nicht hin." Aber dann hab ich mir gesagt: "Du hast bis jetzt jedes Mal hingeschaut und bist der Preisträger geworden, also wird es jetzt wieder so sein, wenn du hinschaust" – ganz albern, aber es ist so.

Standard: Wie das Kind, das vor einer Schularbeit immer nur auf die weißen Streifen des Zebrastreifens steigen darf...

Markovics:... das scheint in uns Menschen drin zu stecken, immer in Situationen außerhalb des Alltäglichen. Da glaubt man an etwas Überrationales, das alle Dinge zu verbinden scheint. Da darf man bloß nichts verschreien.

Standard: Gerade Schauspieler haben so viele Rituale – wie das Toi toi toi, für das man sich nicht bedanken darf.

Markovics: Man darf auch nicht pfeifen im Theater, das bringt Unglück. Das kommt aus der Zeit, als es noch Gaslampen gab. Wenn die Flamme ausging, hat das ausströmende Gas gepfiffen; man musste ganz still sein und horchen, wo, damit man die Flamme wieder entzünden konnte. Viele Theater sind ja damals abgebrannt.

Standard: Als Sie in "Mahler auf der Couch" Sigmund Freud spielten, sagten Sie, ein guter Therapeut lasse einen "an Orte gehen, von denen man gar nicht wusste, dass es sie gibt". Führt einen ein Regisseur auch da hin, sind Sie als Schauspieler oft an diesen Orten?

Markovics: Solch magische Momente gibt es, bei mir vor allem beim Drehbuch-Schreiben. Da ist man tatsächlich ein Schöpfer, ein Gott, der Welt entstehen lässt.

Standard: Das haben Sie einmal Schöpfungswahn genannt.

Markovics: Ja. Beim Schreiben hat man die Welt absolut in Händen. Da geschieht dann auch, dass Bilder zu einem kommen, eine Geschichte passiert. Da komme ich im Laufe der Entwicklung der Geschichte oft zu Punkten, an denen ich sage: Das habe jetzt nicht ich gemacht oder gewollt, das hat sich ergeben. Ich bin nur Auslöser, habe den Anstoß gegeben, indem ich es will. Das ist, um mit Schopenhauer zu sprechen, ein Prozess von Wille und Vorstellung. Aus dieser Willens- und Vorstellungsenergie kondensieren Dinge, die einen selbst überraschen.

Standard: Es schreibt in Ihnen?

Markovics: Teilweise ja.

Standard: Würde ich mir auch wünschen, dass es in mir schreibt.

Markovics: Verstehe ich. Aber es schreibt natürlich nicht in dieser Ein-zu-Eins-Form in einem. Man muss alle seine Kenntnisse, Erfahrungen und sein analytisches Wissen einbringen. Doch das Wesentliche, das, worum es geht, das hat man nicht selbst hergestellt. Jedes wirkliche Kunstwerk ist immer mehr als der, der es hervor gebracht hat. Immer. Ein Kunstwerk ist dann ein Kunstwerk, wenn sein Schöpfer davor steht und sagt: Das erzählt mir Dinge, die ich nicht erzählt habe, zeigt mir Dinge, die ich nicht beabsichtigt habe zu zeigen. Insofern relativiert sich dieser Schöpfungswahn.

Standard: Und insofern können Kunstwerke alle übermannen.

Markovics: Dazu sind sie da. Wenn sie nur die Welt widerspiegelten, bräuchten wir sie nicht. Da wäre Kunst bloß schönes Handwerk.

Standard: Als Schauspieler suchen Sie in einer Figur den wunden Punkt; bei Freud haben Sie den in seiner Angst vor Frauen gefunden, erzählten Sie einmal. Wo ist Ihr wunder Punkt?

Markovics: Der wunde Punkt ist das Persönlichste, was es gibt. Darüber würde ich nicht reden in einem Interview.

Standard: Aber Sie kennen Ihren wunden Punkt?

Markovics: Ich kenne viele Aspekte von ihm, könnte ihn aber jetzt auch nicht in einem Satz analysieren. Doch ich weiß, wenn ich in seine Nähe komme; wenn ich dort bin, weiß ich, dass er es ist. Ich komme ihm beim Schauspielen nahe, am nächsten aber beim Drehbuchschreiben. Regieführen ist da etwas komplett anderes, für mich ist es die Belohnung fürs Drehbuchschreiben. Michael Haneke würde es wahrscheinlich umgekehrt sehen, er sagt: Wenn das Drehbuch geschrieben ist, fängt die Scheiße an.

Standard: Sie nennen das Drehbuchschreiben eine Qual.

Markovics: ... ist es schon auch, es ist manchmal entsetzlich. Da sitze dann tage-, wochen-, monatelang, und warte, bis die Geschichte wieder Lust hat, etwas preiszugeben.

Standard: Sie könnten auch sagen, es fällt Ihnen nichts ein.

Markovics: Es ist eben so, dass man als rational denkender und strukturierter Mensch nicht für möglich hält, dass es nicht geht, dass man sich von zehn bis14 Uhr hinsetzt und arbeitet und dann wieder von 20 bis 23 Uhr. Ich habe für mich noch keine richtige Struktur gefunden.

Standard: Sie sind beim Schreiben nicht Herr Ihrer selbst?

Markovics: Ich bin es nicht, und ich glaube nicht, dass es sehr viele Autoren gibt, die es sind. So viele Thomas Manns gibt es nicht.

Standard: Weil Sie zuerst vom Handwerk sprachen: Haben Sie heute eine Idee, warum Sie das Max-Reinhardt-Seminar einst nicht aufgenommen hat?

Markovics: Aus der Sicht des Regisseurs: Ich weiß nicht, ob ich mich genommen hätte. Ich war genau dort richtig, wo ich damals gelandet bin: im Serapionstheater.

Standard: Da haben die Schauspieler alles selbst gemacht, von Bühne bis Kostüm. Auf einer Tournee haben Sie irrtümlich Kaiser Franz Joseph gesprengt: die Puppe, die in „Bal Macabre" mitspielte.

Markovics: Das ist passiert.

Standard: Das Selbstmachen haben Sie sich bewahrt? Beim Dreh zu "Atmen" kamen Sie mitten in der Nacht zum Schneeschaufeln aufs Set.

Markovics: Ja, aber auch, weil ich diesen unmittelbaren Bezug brauche. Ich will das, was ich mache buchstäblich begreifen, anfassen können. Ich will mich in dieser Welt, in der ich tue als wäre sie neu, sicher fühlen, muss wissen, woraus sie besteht und beschaffen ist, um dann auch wirklich spielerisch mit ihr umgehen zu können.

Standard: Letzte Frage: Worum geht's im Leben?

Markovics: Darum, draufzukommen, dass man nicht alleine ist und die Welt nur da ist, weil es die anderen Menschen gibt, ohne die wir selbst gar nicht sein könnten. Es geht um das Umdrehen des Gedanken: Ich bin Herr des Kosmos und mit mir stirbt ein ganzes Universum. Es ist die Empathie, die uns als Wesen ausmacht. (Renate Graber, DER STANDARD; Print-Ausgabe, 3/4.2.2012)