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Eine Dame mit betörender Sprache: Wyslawa Szymborska.

Foto: AP / Jan Collsioo

Krakau - Über das Interesse, das man ihrer liebenswürdigen Person entgegenbrachte, zeigte sich die zurückgezogen in Krakau lebende Dichterin Wislawa Szymborska in der Regel bass erstaunt. Die Dankesrede, die sie aus Anlass der Zuerkennung des Literatur-Nobelpreises 1996 hielt, ging als eine der kürzesten in die Stockholmer Annalen ein. Ihrer mit feiner Ironie verbrämten Lyrik muss man den tieferen Sinn geduldig ablauschen: Ihre eminente Sprachbegabung entzündete sich an Alltäglichkeiten. Die philosophische Kasuistik ihrer Gedichte erschloss sich am leichtesten demjenigen, der in Szymborskas trügerischem Parlando nach Zeichen der doppelten Verneinung suchte.

Der Wohllaut von Szymborskas vollendet beiläufigen Versen liegt in der überraschenden Kadenz: in der finalen Wendung, mit der ein zuvor umständlich entwickelter Sachverhalt in Schwebe versetzt wurde: "Sieht er an mir vorbei, / such' ich mein Spiegelbild / an der Wand. Und sehe nur / einen Nagel. Kein Bild."

Die Skepsis gegen jede Bilderseligkeit lässt sich nur dann angemessen begreifen, wenn man im Blick behält, dass auch Wislawa Szymborska einst zu den Parteigängern des Kommunismus gezählt wurde. Ihre frühe Lyrik enthielt die geläufigen Apologien an die sozialistische Einheitspartei. Ein Umstand, den sie sich so wenig verzieh, dass sie ihr Werk etwa seit Ende der 1950er-Jahre vor allen Parteinahmen, vor allen eindeutigen Festlegungen feite.

So kann man auch kaum zwei Gedichte dieser ungewöhnlichen Autorin über ein- und denselben Kamm scheren. Zutiefst misstrauisch gegenüber allen Gängelungen durch hochtrabende Programme, verordnete sich Szymborska eine Leichtigkeit des Stils, die auch betrüblichen oder tiefsinnigen Feststellungen eine staunenswerte Anmut verlieh.

In dem Rollengedicht Eindrücke aus dem Theater heißt es dazu unter anderem: "Ich kenne die Rolle, die ich spiele, nicht. / Ich weiß nur, sie ist unauswechselbar, mein. / Was das Stück soll, / werde ich erst auf der Bühne erraten." Und weiter: "Kein Zweifel, es ist Premiere. / Und was ich auch tue, / verwandelt sich ein für alle Male in das, was ich tat."

Szymborska arbeitete seit 1947 freiberuflich für diverse Zeitungen, von 1953 bis 1981, also bis zur Verhängung des Kriegsrechts, war sie fix angestellte Beiträgerin für Buchrezensionen in einer Wochenzeitschrift. Sie engagierte sich auch im Untergrund. Die bis 1990 (seinem Todesjahr) mit dem Dichterkollegen Kornel Filipowicz liierte Lyrikerin schreckte fast panisch vor jeder Berührung mit der Öffentlichkeit zurück: Gedichte könnten nur in der Stille reifen, ließ sie ausrichten. Zu ihren literarischen Hausgöttern zählte sie Swift, Montaigne, Twain und Thomas Mann. Dem Rauchlaster frönte sie aus Überzeugung: Sie bezweifelte, dass der "Antinikotinkaugummi der Literatur guttun" würde.

Jetzt ist Szymborska 88-jährig in Krakau nach langer Krankheit friedlich eingeschlafen.  (Ronald Pohl  / DER STANDARD, Printausgabe, 3.2.2012)