"Österreich ist ein reiches Land, aber ein armer Staat." (Außenminister Michael Spindelegger am 9. März 2010)

Derzeit dreht sich das politische Interesse in Österreich ganz um die Frage, wie in Österreich die EU-Schuldenbremse umgesetzt wird und wer hier letztlich die Kosten der Budgetsanierung tragen muss.

Verwechslung von Ursache und Wirkung

Die Krise hat die Schulden explodieren lassen - nicht umgekehrt! Schon bei der Frage, wer für den enormen Anstieg der Staatsschulden seit 2008 verantwortlich ist, wird gerne gemogelt. Die Staatsschuldenkrise ist nicht die Ursache der Krise der Eurozone, sondern die Folge der Finanz- und Wirtschaftskrise. Der Anstieg der österreichischen Staatsschulden in den letzten drei Jahren um ca. zwölf Prozentpunkte (von 60 Prozent auf 72 Prozent) ist nicht auf eine unfinanzierbare Ausweitung des Sozialstaats, auf den Anstieg der Gehälter im öffentlichen Dienst, der Pensionen oder der Verwaltungsausgaben und noch weniger auf die Löhne der ArbeitnehmerInnen zurückzuführen. Der Anstieg der Staatsschulden in Österreich wie auch in der EU ist eine direkte Folge der von Banken und Finanzmärkten ausgelösten Wirtschaftskrise und der deswegen von den Regierungen über Nacht zur Verfügung gestellten Krisenpakete auf Kosten der Steuerzahler. "Nicht die Schulden haben die Krise verursacht, sondern die Krise hat die Schulden explodieren lassen." (Prof. Klaus Schulz, Osnabrück)

Es ist daher mehr als naheliegend, dass zur Sanierung des Budgets jetzt diejenigen faire Beiträge leisten, die von den großen Krisenpaketen 2008 bis 2010 profitiert haben.

Kein Solidarbeitrag der Wirtschaft und der großen Vermögen?

Die Regierung hält sich derzeit bedeckt und lässt über den Verhandlungsstand nur durchsickern, was bisher als akkordiert gilt; und das ist noch nicht sehr viel. Die wenigen bekannt gewordenen Details lassen jedoch schon den Schluss zu, dass die bisherige politische Linie beibehalten wird und - wie immer - wieder dieselben Gruppen belastet werden, die mit der Finanzkrise absolut nichts zu tun haben.

Die bisher vereinbarten Einsparungen zielen offenbar vor allem auf die Gehälter im öffentlichen Dienst, die Einkommen der "Besserverdiener" (wer ist damit gemeint?) und die Pensionisten: Dort, so der Tenor regierungsnaher Journalisten, ist "das meiste" zu holen, nicht jedoch bei den großen Vermögen. Die geplanten Solidarbeiträge der "Besserverdiener" scheinen wieder nur aus den Einkommen des Mittelstands zu kommen und nicht aus den Spitzeneinkommen, den Gewinnen der großen Konzerne, der großen Vermögen und des Finanzkapitals: Es ist noch immer keine Rede von den Vermögens- und Erbschaftssteuern, um die die ÖVP mittlerweile eine ideologische Firewall gezogen hat: "Wir leben bereits in einem Hochsteuerland" (Leitl, Fekter, Spindelegger). - Hoch besteuert werden in Österreich jedoch nur die Einkommen der Unselbstständigen, für die Vermögenden dagegen ist Österreich ein Steuerparadies. Und das soll anscheinend weiterhin so bleiben. Kein Solidarbeitrag also von denen, für die der Steuerzahler im Jahr 2008 eingesprungen ist und für die sich der Staat verschuldet hat, als es galt, ihr Vermögen durch Abwendung drohender Bankencrashs zu retten! - Allein die Hypo Alpe Adria kostete den Staat bisher 1,5 Milliarden Euro.

Woher soll das "schnelle Geld" kommen?

Haben nicht ÖVP und SPÖ vor Beginn der Verhandlungen beteuert, man wolle auf keinen Fall den Mittelstand noch einmal belasten? Hat man nicht versprochen, die ausgabenseitige Sanierung des Budgets vor allem durch Strukturreformen bei den Förderungen, bei der Spitalsorganisation und in der öffentlichen Verwaltung zu bewerkstelligen? Davon ist jetzt anscheinend nicht mehr viel die Rede, denn "diese Reformen müsse man gründlich planen und dauerten Jahre", da sei eben kein schnelles Geld zu holen.

Die Wirtschaft gibt vor, für "Wettbewerbsfähigkeit", Wachstum und Arbeitsplätze zu sorgen, und dürfe daher ebenfalls nicht "noch mehr" belastet werden. Es ist keine Rede davon, die Steuerprivilegien der Wirtschaft wie die steuerbegünstigten Dienstautos abzuschaffen oder die ungerechten Steuervorteile der Konzerne im Zuge der Gruppenbesteuerung zu reduzieren.

Das Einzige, worauf sich die Regierung anscheinend bisher einigen konnte, ist die Einführung einer Steuer auf die Umwidmung von Grundstücken.

Beamte und Pensionisten als ewige Sündenböcke der Staatsschuldenkrise

Geht man danach, was bisher in der Regierung vereinbart wurde, dann soll es dafür die Beamten und den hinter ihnen stehenden Staat umso härter treffen, nämlich vier- bis fünffach. Für sie soll kommen: Einstellungsstopp, Kürzung der Lebensverdienstsumme (Aussetzen eines Biennalsprungs), "Arbeitsplatz-Sicherungsabgabe" in der Höhe von ein bis drei Prozent des Monatsgehalts (in Wirklichkeit eine neue Steuer!), Solidarbeitrag der "Besserverdiener". Dazu wird von servilen Medien wieder einmal der Mythos vom Beamtenstaat Österreich beschworen (obwohl Österreich seit 2000 sehr viele Beamte abgebaut hat und nur mehr eine Beamtenquote von elf Prozent hat), so als seien die Beamten die wirklichen Superprivilegierten im Lande, die die Steuern zahlende Privatwirtschaft ausbeuten und von denen man sich daher im Zuge eines Sparpakets unglaublich viel holen könne. Die andere Zielgruppe im Visier der Regierung sind wie immer die ("privilegierten") Pensionisten, wo man diesmal die Frühpensionierungen zurückdrängen und das Pensionsantrittsalter der Frauen noch schneller als geplant anheben will. Man will also wieder einmal den Staat auf Kosten der Beamten und Pensionisten sanieren.

Die Sparpläne von FPÖ, BZÖ und ÖVP laufen eindeutig erneut auf eine Privilegierung des ökonomischen Systems, auf eine Schwächung des politischen Systems der Demokratie und auf die x-te Schröpfung der Lohn- , Einkommens- und Pensionsbezieher hinaus.

Banken und Wirtschaft geht es um die Verteidigung der neoliberalen Hegemonie

Die Neoliberalen instrumentalisieren die Staatsschuldenkrise, die Schuldenbremse und die Sparpakete zur Verteidigung ihrer politischen Hegemonie. Andauernd Beamte abzubauen und ihre Einkommen zu kürzen, während die Krisenverursacher ungeschoren bleiben sollen, ist derzeit die exzessiv verfolgte neoliberale Strategie in ganz Europa. "Österreich ist ein reiches Land, aber ein armer Staat", klagte Außenminister Spindelegger, als er vor zwei Jahren auf Veranlassung des ehemaligen Finanzministers Josef Pröll in seinem Außenministerium radikal einsparen musste. Das scheint der ÖVP-Obmann Spindelegger völlig vergessen zu haben, wenn er nunmehr die Sparverhandlungen im Sinne von WKÖ und IV führt nach dem Motto: Privater Reichtum und öffentliche Armut, so soll's bleiben!

Demokratiefeindliche Sparpläne zur "Staatsreform"

Der Gipfel der derzeitigen Spardiskussion sind die Pläne in FPÖ, BZÖ und ÖVP zur "Staats- und Demokratiereform" unter dem Aspekt des Sparens.

Folgende Vorschläge zur Staatsreform aus der jüngsten Zeit zeigen, wie sehr diese Vorschläge bestimmten ökonomischen und politischen Interessen dienen: Man will u. a. die Finanzbeamten noch mehr reduzieren, die Abgeordneten zur Legislative verringern, obwohl das Parlament das wichtigste Kontrollorgan der demokratischen Republik ist, und Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll schlug vor, den vom Volk gewählten Bundespräsidenten abzuschaffen.

Der neoliberale Populismus schürt schon seit langem durch die missbräuchliche Vereinnahmung des Reformbegriffs die Ressentiments der Bevölkerung gegen die Politik(er) und versucht die Legislativen als demokratisches Gegengewicht zum System Ökonomie unter dem Vorwand des "Sparens" zu demontieren. Das schwächt das System Politik insgesamt noch mehr, statt dass es gegenüber dem System Ökonomie gestärkt wird. Je machtloser jedoch demokratisch gewählte Politiker und Parlamente in einer Krise wie der jetzigen agieren, desto größer werden die antidemokratischen Ressentiments der Bevölkerung, desto mehr rückt die Bevölkerung bei Wahlen politisch nach rechts.

Nähe zwischen Neoliberalismus und rechtem Autoritarismus

Eine Demokratiereform darf nicht zum Abbau, sondern muss vielmehr zum Ausbau der Demokratie führen. Die neoliberalen Sparpläne zur Staats- und Demokratiereform sind jedoch geeignet, den Weg in ein autoritäres politisches System zu ebnen.

Man sollte auf die deutliche Nähe von Neoliberalismus und rechtem Autoritarismus achten: Die Neoliberalen waren diejenigen, die nach 1945 als Erste völlig unbehelligt wieder die Feindbilder Staat, Politik(er), Parteien und Beamte reaktivierten. Diese umfassende Denunzierung des gesamten demokratischen Systems (Staat, Politik, Parteien, Beamte - Motto: Privat ist gut, Staat ist schlecht!) diente zunächst zur Durchsetzung ihrer ökonomischen Ziele: Deregulierung der Wirtschaft, Abbau des Sozialstaats, "freie" Wirtschaft.

In der nunmehrigen Wirtschaftskrise nützt der Neoliberalismus das Feindbild Staat, um die in der Krise bedrohten ökonomischen Interessen seiner reichen Klientel zu verteidigen. Dazu geht er ein politisches Bündnis mit der Rechten ein: Das von den Neoliberalen popularisierte Feindbild "Staat" und "Politik" wird derzeit immer stärker von der politischen Rechten übernommen und sehr erfolgreich in Wählerstimmen umgemünzt. Die erstarkte Rechte unterstützt dafür die ökonomischen Krisenlösungen des Neoliberalismus. Die Rechte tut im Moment so, als ob sie die Ursachen der Krise bekämpfen würde, verbündet sich jedoch in Wirklichkeit interessenpolitisch mit den Krisenverursachern. Daher rührt ihr momentaner schneller Aufstieg in ganz Europa!

Ablenken vom eigentlichen Problem

Schon in der Weltwirtschaftskrise 1929-33 war es die Strategie der Rechten, von den Ursachen der Krise des ökonomischen Systems abzulenken und den Bürgern einzureden, schuld an ihrem Elend seien nicht die Finanzmärkte, sondern die "Politikerbonzen", der "Klassenkampf" und das "falsche" korrupte politische System der Demokratie (Parlamente, Parteien, Gewerkschaften usw.). Insbesondere arbeiteten die konservativen Industriellen und Banker in der Weltwirtschaftskrise 1929 auf die Beseitigung der Arbeitnehmervertretungen hin, um eine autoritäre Krisenlösungsstrategie durchsetzen und der ohnehin verarmten Bevölkerung immer weitere Sparpakete aufzwingen zu können. Als AK und ÖGB vorige Woche ihre Pläne zur Budgetsanierung vorstellten und dabei eine konträre Position zur WKÖ und zur IV einnahmen, forderte ein Teilnehmer der Standard-Community prompt umgehend die Abschaffung von ÖGB und AK. - Was für ein Déjà-vu! (Anton Brandner, derStandard.at, 3.2.2012)