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Viele Prozesse in kurzer Zeit.

Foto: EPA/ALESSANDRO DI MEO

Die Richter standen unter Protest auf, zogen sich die schwarzen Roben aus und verließen den Saal. Die Anwälte hatten den Mailänder Richtern Befangenheit vorgeworfen. Einmal mehr. Wie ihr Mandant sind auch sie der Meinung, die Justiz habe sich den Kampf gegen Silvio Berlusconi auf die Fahnen geheftet, die Justiz sei links, kommunistisch, das "Krebsgeschwür" des Landes.

Berlusconi ist in so viele Affären, Prozesse und Voruntersuchungen verwickelt, dass man aufgehört hat, sie zu zählen. Derzeit steht er in vier verschiedenen Fällen vor Gericht. Um die Anzahl geht es aber schon lange nicht mehr. Was jetzt zählt, ist die Gewichtung, die Frage, welcher Prozess ihm das Genick brechen könnte. Denn seit zweieinhalb Monaten ist Berlusconi nicht mehr im Amt, und mit dem Rückzug gingen auch der politische Flankenschutz und die juristischen Tricks verloren.

Berlusconi rennt die Zeit davon und am Ende wird der Ex-Premier nur eines sein: verurteilt oder erneut auf dem Weg zum Spitzenkandidaten seiner Partei. Auch wenn er stets betont, sich aus der Politik zurückziehen zu wollen, die Fäden zieht noch immer er im Hintergrund.

Berlusconi und seine Anwalts-Entourage ziehen alle Register, man kennt das Spiel: Prozesse werden so in die Länge gezogen, bis sie verjähren. Und in Italien können Prozesse in der Zwischenzeit verjähren, ehe sie gestartet sind. Dank Berlusconi.

Nur einen einzigen Fall hat er bisher nicht erfolgreich abwehren können: Eine Verurteilung wegen Falschaussage bezüglich seiner Mitgliedschaft in der Geheimloge P2 von 1990, die durch eine Amnestie verfiel. Die meisten Prozesse endeten nicht einmal mit einem Freispruch, sondern durch die oftmals verkürzten Verjährungsfristen, für die Berlusconi und seine treuen Justizminister stets gekämpft haben.

"Mills" und "Ruby"

Im "Mills-Prozess" - wegen mutmasslicher Bestechung seines früheren Anwalts David Mills - setzten Berlusconis Anwälte den Antrag, über die Befangenheit der Richter entscheiden zu lassen, vergangenen Montag durch und beendeten ihn damit praktisch. Die vorgeworfene Tat verjährt am 14. Februar, für den 11. Februar setzte die Justiz den Urteilstermin an - was angesichts der Menge an Zeugen und Anträgen auf der Liste der Verteidigung nahezu unmöglich erscheint. Seit 5. Dezember laufende außerdem erste Voruntersuchungen im Verfahren gegen die in Berlusconi-Familienbesitz befindliche Tageszeitung "Il Giornale" rund um die Veröffentlichung von Telefonabhörprotokollen des ehemaligen Vorsitzenden der Mitte-links -Partei DS, Piero Fassino. Auch sie könnten in einem Prozess münden.

Nach vier Gerichtsterminen in der letzten Jännerwoche, kommen weitere fünf Anfang Februar auf Berlusconi hinzu. Selbst für den Cavaliere eine hohe Frequenz. Zusätzlich gräbt ihm vor allem der "Fall Ruby" allmählich das Wasser ab. Seit vergangenem Montag läuft der Prozess rund um die marokkanische Tänzerin. Am 10. Februar steht Berlusconi erstmals selbst - einmal wegen Begünstigung der Prostitution mit einer damals Minderjährigen, einmal wegen Amtsmissbrauchs - vor Gericht. Sollte er verurteilt werden, drohen ihm bis zu vier Jahre Haft.

Rückschlag für Monti

Derweil hat die Regierung Mario Montis eine schmerzhafte Niederlage im Parlament einstecken müssen. Die Oppositionspartei Lega Nord setzte bei einer Abstimmung in der Abgeordnetenkammer am Donnerstag einen Antrag durch, der die persönliche Haftbarkeit von Richtern vorsieht. Das Kabinett Monti hatte den Antrag offen kritisiert, er wurde dennoch in einer geheimen Abstimmung mit 264 gegen 211 Stimmen beschlossen.

Bürger, die aufgrund von Urteilen oder wegen des Verhaltens eines Richters oder Staatsanwalts Schaden erlitten haben, können fortan gegen den Staat und den Richter selbst vor Gericht ziehen und eine Entschädigung beantragen. Damit kann auch der Richter statt - wie bisher üblich - nur der Staat für die Entschädigung aufkommen müssen. Der italienische Richterverband bezeichnet den Schritt als verfassungswidrig und droht mit Streik. (fin/APA, derStandard.at, 4.2.2012)