
PULS 4 sendet aus dem Wiener Marriott live. Kommentiert wird aus dem Geschenkeladen.
Ich wache auf, mit dem Oberkörper nach vorne gebeugt am Studiotisch liegend, richte mich auf, schaue auf den Monitor: 3. Quarter: Patriots 39, Giants 3.
Ich schaue nach rechts, Michael Eschlböck sitzt schweigend da…
"Was ist los?" "Du hast so gut geschlafen, ich wollte dich nicht aufwecken"
"Was passiert da?" "Die Patriots fahren über die Giants drüber."
"Warum sagst du nichts?" "Was soll ich zu dem Spiel noch groß sagen? Zieh dir lieber was an, wir sind gleich im Bild."
Ich schaue nach unten und merke, ich sitze im Pyjama im Studio!
Springe auf, laufe in die Maske, suche Hemd und Sakko. Die Hemden sind alle völlig zerknittert, Sakkos gibt es nur in Kindergrößen. Ich versuche das Hemd zu bügeln, aber je länger ich bügle, desto zerknitterter wird es. Ich schlüpfe in ein Hemd, zwänge mich ins Sakko, laufe zurück ins Studio.
Am Monitor: 4. Quarter: Patriots 39, Giants 31
"Was ist da passiert?" "Die Giants kommen zurück, hast du es nicht gesehen?"
"Warum sagst du nichts ins Mikro?" "Na, Scores sind schon dein Job, Walter!"
Ich setze das Headset auf, sage "Test, Test" und der Regisseur im Ohr zu mir: "Walter, so wie du aussiehst, können wir jetzt leider nicht auf Sendung gehen. Wir brechen hier ab und zeigen eine Folge Quiz Taxi."
Solche und ähnliche „Pyjama-Träume“ verfolgen mich seit Tagen, was darauf hindeutet, dass ich mich zumindest unterbewusst schon Richtung Sonntag hin „schwitze“, denn viel Zeit, über das Spiel selbst nachzudenken, die hatte ich nicht. Ein paar Blogs durchstöbern, Videozapping vom Media Day. Was meint Peter King? Was twittert Adam Schefter? Und am Ende ganz wichtig: Was tippt Hanno Settele? Sie lesen richtig. Der ORF-Mann in Washington ist, was Superbowl-Prognosen betrifft, bei mir 1 von 1. Im Fantasy Football ein Halbgott, treibt er sich manchmal im Locker der Redskins herum, denn die allerbesten Fantasy-Spieler der Welt sind immer öfter auch NFL-Spieler, die nicht selten mehr über die anderen Teams wissen, als jeder War Room, der 30 Dollar Eintritt verlangt. 2009 fragte ich ihm nach einen Saints-Colts Tipp und er antwortete umgehend mit 31:17 New Orleans. Das exakte Ergebnis 24 Stunden vor dem Spiel. Die Lottozahlen hätte er auch gehabt, danach habe ich aber nicht gefragt. Sein Tipp 2012 unterscheidet sich deutlich von den meisten anderen. Die New York Giants schlagen die New England Patriots 35:14. Ich neige dazu, Settele erneut keinen Glauben zu schenken.
Viel mehr an Präparation war bisher nicht möglich. Mich reißt es hin und her und das ist gut so. Und nicht nur mich. Michael Eschlböck kam soeben aus Austin zurück, wo die U19-Weltauswahl einer gleichaltrigen US-Auswahl die erste Niederlage in der Geschichte überhaupt zufügte. Nicht unwichtig für Österreich, denn Spieler aus der Alpenrepublik an guten US-Colleges - und die International Bowl ist ein bekanntes Sprungbrett dahin - wäre eine Grundvoraussetzung für einen Österreicher in der NFL. Und das ist ein mittelfristiges Ziel, welches nicht nur viele Spieler haben, sondern auch der Verband. Schulinitiativen, Tryouts und eine Kooperation mit dem Heeresportzentrum soll helfen, Football mit Schule und Beruf zu verbinden. 2012 werden in Österreich 39 Nachwuchsmannschaften an einer Meisterschaft teilnehmen, 2011 waren es noch 31. Mit der Micro-Klasse (U10 Tackle Football Scrimmages) sind es sogar 43 Teams. Nachwehen der WM, die nun auch das Versprechen der Nachhaltigkeit einzulösen scheint.
Da ist die Superbowl irgendwie schon fast etwas, was „sowieso passiert“.
TV-Media will Basics von mir, das Wirtschaftsblatt Zahlen, ein deutsches Sportradio „Wiener Superbowl-Charme“, ein Lokalbesitzer, dass ich seine Party moderiere (zahle 100 Euro mehr als Puls 4 und ein warmes Essen), die Frau an der Kasse meines Supermarkts, die mich nach drei Jahren plötzlich zu kennen scheint, die will den Einkaufszettel unterschrieben haben und natürlich alle zusammen die Antwort auf die Frage: Wer gewinnt am Sonntag das Spiel? Ich tippe nach Gemütsverfassung. Zwischen 3:0 New England (nach dem Aufstehen) bis zum Settele-Orakel war alles dabei. Eigentlich, siehe oben, steht es im dritten 39:3 NE, es folgen vier Touchdowns der G-Men...
Ich persönlich habe rund um das Finale der NFL noch keinen solchen Wirbel, auch wenn es noch ein Lüftchen im Vergleich zu den USA ist, in Österreich erlebt. Möglicherweise täuscht mich das auf Grund einer neuen Perspektive, aber mir kommt alles „mehr“ vor als noch vor kurzem. Ihnen vielleicht auch?
Nur Glück?
So logisch das „Rückspiel“ von 2008 heute wirkt, braucht es für mich einiges an nachträglicher Betrachtung der Championship-Spiele, um diese Logik auch zu erfahren. Hatten die beiden Finalteilnehmer bloß das Glück auf ihrer Seite? Sie hatten auch Glück, denn eine „Harbowl“ morgen wäre alles andere als eine riesengroße Überraschung gewesen angesichts der Geschehnisse vor knapp zwei Wochen.
Die Systeme Harbaugh sind in den zwei Spielen an Kleinigkeiten gescheitert, sie sind dort aber vorerst mal gescheitert. Lee Evans hatte den Sieg für die Ravens, die offensiv die Patriots in dem Spiel übertrafen (398 zu 330 offensive Yards), schon in der Hand, den ihm Sterling Moore dann noch aus selbiger schlug. Die Defense ließ keinen Passing-Touchdown zu, pickte Brady dazu zwei Mal. Aber es war in Summe dann trotzdem zu wenig. Evans ist eben kein Welker und Cundiff bewies beim Versuch das Spiel mit einem Fieldgoal aus nur 32 Yards auszugleichen, warum er ein Billy und kein Bill ist.
Ein durchaus ähnliches Schicksal ereilte die 49ers, wenn es bei ihnen auch andere „Kleinigkeiten“ waren. Auch sie bekamen den Angriff der New York Giants gut in den Griff und bestimmten dann über weite Strecken auch das Geschehen, ohne allerdings diese optische Überlegenheit in eine deutliche Führung umwandeln zu können. Es lief so lange gut, bis Kyle Williams seine taube Stelle am Knie entdeckte (Danke an den Sidelinereporter Thomas Psaier für diese Formulierung) und damit mittelbar Eli Manning die Chance gab, seinen zweiten Touchdown zu werfen. Es war wieder Williams, dem im Special Team der zweite Fehler passierte. Sein Fumble in der Overtime beim Punt-Return brachte in Folge Kicker Lawrence Tynes aufs Feld, der, anders als Cundiff Stunden zuvor, aus 31 Yards verwandelte und sein Team zum zweiten Mal bereits in ein Finale kickte. 2008 war Tynes gegen die Packers erfolgreich.
Wichtige Matchups
Ein entscheidender Faktor im Spiel könnte die Fitness von NE Tight End Rob Gronkowski werden. Ein „High Ankle Sprain“ macht dem gefährlichsten Mann in der Offensive der Patriots zu schaffen und er wird am Sonntag wohl nicht mit 100 Prozent ins Spiel gehen können. Ansonsten ist es stets spannend zu sehen, wie eine Defense mit dem Tight End-Duo Hernandez/Gronkowski umgeht. Die Linebacker sind für die beiden meistens zu langsam, die Safeties körperlich unterlegen. Ein „halber“ Gronkowski könnte ein großer Vorteil für die Giants werden.
An der Line wird es vor allem interessant, wenn New England den Ball hat. Brady braucht für gewöhnlich nicht viel Zeit, um Entscheidungen zu treffen, die Giants Ends Jason Pierre-Paul und Justin Tuck werden sie ihm allerdings auch mit Sicherheit nicht geben. Auf den deutschen Offensive-Tackle Sebastian Vollmer, der nach einer Verletzungspause zur Superbowl wieder zurückkehren soll, wird, wie auf die gesamte Patriots Offensive Line, ein langer Tag zukommen.
Auf der anderen Seite hat Eli Manning gezeigt, dass er äußerst robust gebaut ist. San Francisco hat ihn vier Viertel plus Overtime angehoben, niedergeworfen und durchgeknetet. Sein Equipment sah dabei ramponierter aus als er selbst. Da kann ein Vince Wilfork schon kommen.
Das liest sich jetzt alles sehr erfreulich für die Giants, die auch das Duell in der Regular Season in Foxborough 24:20 für sich entscheiden konnten; es gibt aber auch einiges, was für New England spricht. In erster Linie ihre variantenreiche Offensive, die auch einen Totalausfall von Gronkowski kompensieren könnte. Marko Markovic von Football-Austria setzte mir einen Floh ins Ohr, der sich seither fest gebissen hat: Die Patriots werden laufen. Es wird der Tag von Green-Ellis, Woodhead, Ridley und der „Neuentdeckung“ auf der RB-Position: Aaron Hernandez. Das hat was. Im letzten Spiel gegen die Giants liefen die Patriots 24 Mal für 106 Yards. Das könnten am Sonntag 30 oder mehr Carries werden, mit schnellen Playaction-Spielzügen zwischendurch.
Neben der Frage, ob Tom Brady mit einem vierten Superbowl-Erfolg als Quarterback zu den größten Spielmachern aller Zeiten statistisch aufschließen kann, oder Eli Manning am Montag doppelt so viele Ringe wie sein Bruder an seinen Fingern tragen darf, beschäftigt man sich medial eben auch mit dem anderen Manning. Peyton, das ganze Jahr wegen einer Nackenverletzung an die Sideline der Colts gebunden, steht möglicher Weise vor einem Abschied in Indianapolis, eventuell auch vor einem Karriereende aus gesundheitlichen Gründen. Genaues weiß man immer noch nicht. Zwischen Teambesitzer Jim Irsay, der Management und Headcoach feuerte, und seinem langjährigen Quarterback gab es zuletzt Unstimmigkeiten, die man öffentlich auszuräumen versuchte. Manning hat seine Karriere in Indy begonnen, er will sie dort auch beenden. Die Colts haben den ersten Draft Pick 2012 und werden im April wohl Quarterback Andrew Luck zu sich holen. Ob Peyton bleibt, das Team wechselt, oder seine Shoulderpads für immer an den Nagel hängt, das ist von fast ebenso großem Interesse wie das Spiel selbst.
Exit Through The Gift Shop
PULS 4 wird zum ersten Mal mit der kompletten Mannschaft (Moderator, Expertenrunde und Kommentatoren) von der ausverkauften (2.600 Besucher) Superbowl Party in Wiener Marriott Hotel senden. Das finde ich insofern spannend, da ich mit Michael aus dem Gift Shop des Hotels das Spiel kommentieren werde. Das ist mal eine internationale Premiere und ich hoffe, dass sie den guten Scotch im Laden lassen. Natürlich für nach dem Spiel. Und es gibt noch eine Premiere/einen Rekord, die/den ich allerdings erst auf Sendung verraten werde. Ganz ohne Pyjama. Hoffentlich. (derStandard.at, 4.2.2012)