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Denis MacShane: "Wenn die Briten über den Kanal schauen, was sehen sie da? Stillstand. Keine Bewegung bei der Reform des Sozialstaats. Erst jetzt tut sich was"

Foto: EPA/Adrian Dennis
Einen wirtschaftlichen Aufschwung der Eurozone nennt der britische Europaminister Denis MacShane als Voraussetzung für einen Beitritt seines Landes zur Währungsunion. Im Gespräch mit Frank Herrmann äußert sich MacShane zugleich sehr skeptisch zu einer gemeinsamen außenpolitischen Linie der EU.

STANDARD: Tony Blair sieht England im Herzen Europas. Aber ob Sie den Euro übernehmen, bleibt unklar. Ist das nicht ein krasser Widerspruch?

MacShane: Blair ist einer der europafreundlichsten Premiers unserer Geschichte. Aber die Ära Margaret Thatchers und John Majors hat uns ein schweres Erbe hinterlassen. Die Konservativen und die meisten Zeitungen reiten täglich Kampagnen gegen den Euro. Zudem macht uns das schlechte Wirtschaftsimage der Eurozone zu schaffen.

STANDARD: Warum haben Sie keinen Zeitplan für den Euro- beitritt?

MacShane: Was wir nicht wollen, ist ein Referendum, in dem die Briten Nein zum Euro sagen. Seit der Rede von Schatzkanzler Gordon Brown am 9. Juni haben sich die Dinge dramatisch verändert. Unsere Minister werben jetzt aktiv für den Euro. Aber bitte, bitte, dazu brauchen wir die Hilfe der Eurozone. Mein Wahlkreis Rotherham in Nordengland - früher Stahl, Kohle, Strukturkrise - hat heute nur vier Prozent Arbeitslose. Wenn wir so etwas jenseits des Kanals sehen, hilft uns das sehr.

STANDARD: Heißt das, England tritt Euroland erst bei, wenn die anderen ihre Reformen gepackt haben?

MacShane: Nein, es ist ja unsere eigene Entscheidung. Aber lassen Sie uns ehrlich sein. Wenn die Briten über den Kanal schauen, was sehen sie da? Stillstand. Keine Bewegung bei der Reform des Sozialstaats. Erst jetzt tut sich was.

STANDARD: Zaudern beim Euro, Krieg gegen Irak: Wo ist Englands Platz in der Welt? 51. US- Bundesstaat oder Europa?

MacShane: Wir sind ganz klar ein europäisches Land. Es darf jedoch nie ein antiamerikanisches Europa geben. Der Antiamerikanismus führt in die Sackgasse. Die beste Antwort auf unilaterale Tendenzen jenseits des Atlantiks ist die Partnerschaft mit den USA.

STANDARD: Manchmal erweckt London aber den Eindruck, als wäre es Washingtons Pudel.

MacShane: Wir kritisieren die Amerikaner durchaus, wenn wir anderer Meinung sind. Kioto, Stahlzölle, Agrar-Protektionismus, die Todesstrafe - da reden wir Klartext. Das Bild vom Pudel ist falsch.

STANDARD: Die EU debattiert über eine neue Verfassung. Bald gibt es einen EU-Präsidenten . . .

MacShane: Keinen Präsidenten, sondern einen Vorsitzenden. Ich habe mit Kanzler Gerhard Schröder besprochen, dass wir nicht Präsident sagen, sondern Chairman.

STANDARD: Und es wird einen EU-Außenminister geben . . .

MacShane: Der Begriff gefällt mir auch nicht. Repräsentant für Auswärtige Angelegenheiten, das wäre besser. EU-Außenminister: Heißt das nicht, dass der Mann oder die Frau den Regierungen Anweisungen erteilt? Nein, er oder sie wird Chirac, Schröder oder Blair nicht vorschreiben können, wie deren Außenpolitik auszusehen hat. Wir glauben nicht, dass Europa eine einheitliche Außenpolitik haben kann. Nehmen Sie bestimmte Aspekte der Mittelmeerpolitik, die Kernkraft, die Frage, wie man zu Hause den Terrorismus bekämpft. Da vertreten die einzelnen Staaten zu unterschiedliche Positionen.

STANDARD: Degradiert London den EU-Außenminister nicht zu einer reinen Symbolfigur?

MacShane: Seine Effizienz hängt auch von der Person ab. Mit einer starken Persönlichkeit wie Jacques Delors könnte das ein kraftvolles Amt werden. Mit jemandem, der schwach ist oder nationale Empfindlichkeiten verletzt, würde es ein Desaster. (DER STANDARD, Printausgabe, 12.6.2003)