Wenn einem Medium schon die lange gehätschelten Lieblinge auf tragische Weise abhandenkommen, ist es ein bescheidener Trost, wenigstens den Familienkolumnisten geehrt zu wissen. "Die höchste Auszeichnung, das Große Goldene Ehrenzeichen der Stadt Wien, verlieh gestern Bürgermeister Michael Häupl an Kardinal Christoph Schönborn", konnte Samstag auch die "Kronen Zeitung" vermelden. Es wird ja heutzutage nicht jeder verliehene Orden tatsächlich überreicht, und seit auch dem Orden der Diplomatenpassritter Askese verordnet wurde, bedeutet ein Orden, bei dem es bis zur Übergabe kommt, nicht nur eine besondere spirituelle Tröstung, sondern ein Ereignis, bei dem ein Wiener Bürgermeister zur violetten Krawatte greift.

Dass der Strahlemann, dem das Blatt einst bis zur Spitze des Stephansturmes gefolgt ist, endgültig in den Katakomben der Unschuldsvermutung angekommen ist, muss der "Krone" klargeworden sein, als sie ihren Lesern nicht mehr verheimlichen konnte: "Grasser von Schwiegermutter belastet." Umso aufwändiger am selben Tag ein paar Seiten weiter hinten das Bemühen, einem anderen bröckelnden Monument ihrer Blattlinie mit der rhetorischen Frage "Fühlen Sie sich in der Opferrolle wohl, Herr Strache?" Stütze zu bieten. Keine Sorge: "Reue kommt dabei nicht vor." Und das am selben Tag, an dem man sich in der "Presse" mit den "Defiziten der Anti-Strachisten" herumplagte, bloß um von den Leitartikeln ihres Chefredakteurs abzulenken.

Warum auch sollte Strache sich in seiner Opferrolle nicht wohlfühlen oder gar Reue zeigen? Wird er doch nicht von einer Schwiegermutter belastet, sondern lediglich von dem Zusammenhang, aus dem sein Ballgesäusel "durch bewusste Verdrehungen eines 'Standard'-Journalisten" gerissen wurde. Sogar die "New York Times", bemühte er sich um einen annehmbaren Vergleich, "hält sich an einen Pressekodex, der besagt, dass sich Undercover-Journalisten irgendwann zu erkennen geben müssen".

Schade, dass Strache mit seinem Wissen vom "Pressekodex", an den sich "sogar die 'New York Times' hält", nicht dem rattenscharfen österreichischen Presserat, sondern nur der Freiheitlichen Partei angehört. Was bliebe dem Land nicht alles an "bewussten Verdrehungen" erspart! Nicht gestellt wurde in dem Interview zum Beispiel die Frage, was Strache getan hätte, hätte sich der Journalist, der eher ein Undercover-Ballbesucher war, zu erkennen gegeben, kaum dass Strache seine rhetorische Ballspende abgeliefert hatte.

Was den "Agent Provocateur" betrifft, beharrte er darauf: "Ich bin ihm nicht aufgesessen. Ich bin ja ein gläserner Mensch." Dass er über die "Reichskristallnacht" und über die "neuen Juden" doziert hat, bestreitet er auch nicht, er besteht sogar darauf. Aber vielleicht hätte er nach journalistischer Entblößung sofort dazugesagt: Ich sitze Ihnen nicht auf, war nur ein kleiner Faschingsscherz eines "gläsernen Menschen" - nicht dass Sie mir den bewusst verdrehen! Von gutem Reaktionsvermögen hätte auch gezeugt: Ich habe das nicht zu Ihnen als Journalist gesagt, sondern zu den im Saal anwesenden Sicherheitsbeamten.

Schließlich hätte er es auch noch mit einem Mitleidsappell versuchen können: Sie glauben ja gar nicht, wie schwer wir neuen Juden es in diesem Land haben, ständig müssen wir uns verstellen, um akzeptiert zu werden. Und damit wäre er dem schon sehr nahe gekommen, was er der Overcover-Journalistin der "Krone" verriet. "Was war der Inhalt der Aussage, zu der ich stehe und die ich getätigt habe? Dass die Dramatik der damaligen Zeit, das Hineinempfinden in die Opfer, für die wir tiefstes Mitgefühl haben, die Entwicklung einer Massenpsychose, das Entstehen dieser Mechanismen spürbar wird, wenn man den Hexenkessel dort rund um den Ball erlebt hat."

Wenn das "Hineinempfinden in die Opfer" kein Halten mehr kennt, "die Entwicklung einer Massenpsychose", vor allem aber das Entstehen dieser Mechanismen am Burschenschafterleib "spürbar wird", dann liegt jeder Vergleich mit der "Reichskristallnacht" fern. Strache: "Halt! Halt! Ich vergleiche es eben nicht, ich vergleiche nur die Mechanismen, und zwar als Auftrag, diese zu bekämpfen". Die Erfüllung dieses Auftrages misslang im ORF zunächst: "Da hat Armin Wolf in DDR-Manier interviewt und mir das Wort wieder im Mund umgedreht" - und nicht einmal undercover! Fazit: Es war eine rauschende antifaschistische Ballnacht. Keine Angst, ist ja nur einmal im Jahr. (Günter Traxler, DER STANDARD; Printausgabe, 7.2.2012)