Die Opposition fordert Neuwahlen.
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"Ich klammere mich nicht an die Macht" , sagt der rumänische Premier Emil Boc, als er am Montag mitsamt seinem Mitte-rechts-Kabinett überraschend zurücktrat. Staatschef Traian Basescu ernannte noch am Abend den ehemaligen Chef des rumänischen Geheimdienstes und Ex-Außenminister Mihai-Razvan Ungureanu zum neuen Premierminister. Dieser hat zehn Tage Zeit, um ein neues Kabinett zu bilden, ein neues Regierungsprogramm zu entwerfen und im Parlament eine Vertrauensabstimmung durchzuführen.
Der zurückgetretene Liberaldemokrat (PDL) Boc betonte, dass die mit so großen Opfern erzielte wirtschaftliche Stabilität Rumäniens "um jeden Preis bewahrt werden muss" . Mit seinem Rücktritt wolle er "die soziale und politische Situation im Land entschärfen" .
Dass er kürzlich eine leichte Anhebung der Gehälter und Pensionen in Aussicht gestellt hatte, reichte angesichts der lang angestauten Frustrationen der Bevölkerung über die anhaltenden Krisenmaßnahmen nicht aus. Seit Mitte Jänner fanden täglich in mehreren Städten Straßendemonstrationen gegen die Regierung und Staatschef Traian Basescu statt. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Imas hatte Boc Ende Jänner mit nur 7,3 Prozent Zustimmung in der Bevölkerung den schlechtesten Wert in der Regierung bekommen.
Die Opposition, die angesichts der Straßenproteste lautstark vorgezogene Wahlen gefordert hatte, begrüßte die Entscheidung als ersten Schritt zur Erreichung dieses Ziels. Laut dem Chef der Nationalliberalen Partei (PNL), Crin Antonescu, sei die Regierung Boc "die inkompetenteste, korrupteste und lügnerischste in der Geschichte Rumäniens seit 1989" gewesen. Der Vorsitzende der Sozialdemokraten (PSD), Victor Ponta, fügte hinzu, dass das Oppositionsbündnis "Sozialliberale Union" (USL), zu dem neben den Nationalliberalen (PNL) und den Sozialdemokraten auch die Konservativen (PC) gehören, "verantwortliche Lösungen" bieten müsse und nach vorgezogenen Wahlen "eine andere Regierung stellen muss" .
Die Opposition wirft der Regierung Boc vor, die Anweisungen des PDL-nahen Staatschefs Basescu befolgt zu haben statt den Auftrag der Bevölkerung. In einer Ansprache vor dem EU-Parlament vergangene Woche beanstandeten die USL-Chefs Ponta und Crin Antonescu, dass Boc bei der Verabschiedung von 14 wichtigen Gesetzen die parlamentarische Debatte umgangen habe, indem er einfach die Vertrauensfrage stellte. Allerdings wurde die Vertrauensfrage auch in der Zeit, als die PDL noch gemeinsam mit den Sozialdemokraten regierte, viermal gestellt.
20 Milliarden Euro
Ab dem Sommer 2010 hatte die Regierung Boc eines der EU-weit drastischsten Sparpakete umgesetzt. Unter anderem wurden Gehälter im öffentlichen Sektor um ein Viertel reduziert und die Mehrwertsteuer von 19 auf 24 Prozent erhöht. Hinzu kamen bedeutende Stellenkürzungen und eine Reform des Verwaltungsapparats sowie ein Kreditabkommen über 20 Milliarden Euro mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF), der Weltbank und der EU. Auch derzeit läuft ein im Notfall abrufbares Präventivabkommen über 5,4 Milliarden Euro mit internationalen Finanzinstitutionen.
Die so erreichte Stabilität schlage sich laut Boc darin nieder, dass Rumänien nach zwei Jahren Rezession 2011 2,5 Prozent Wirtschaftswachstum erzielte. Für 2012 weisen Prognosen des IWF auf ein Wirtschaftswachstum von bis zu 1,5 Prozent hin. Boc betonte zudem, dass Rumänien EU-weit mit etwa 1000 Euro pro Kopf die geringste Verschuldung aufweist und dass sowohl der Wechselkurs als auch das Budgetdefizit, für das ein Rahmen von vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) eingehalten werden konnte, stabil sind. (Laura Balomiri aus Bukarest/DER STANDARD, Printausgabe, 7.2.2012)