Fast wie neu: Diese mehrfärbige Webborte aus der Hallstattzeit wurde vermutlich zur Verzierung von Ärmeln oder Hosenbeinen verwendet und mit einer speziellen Webmethode hergestellt. Diese heute zu imitieren erwies sich als wissenschaftliche Herausforderung.

Foto: NHM Wien

Forscher rekonstruierten die Färbe- und Webtechniken – mit einigem Aufwand.

Die schillernde Welt der Mode lebt nicht nur von Schnitten und Stoffen, sondern auch und vor allem von Farben, und das nicht erst, seit es Fashion Weeks gibt: Bereits vor 3000 Jahren nahmen sich die Menschen Zeit, ihre Kleidung bunt zu machen. Der dafür nötige Aufwand war beeindruckend – ebenso wie ihr Erfindungsreichtum. Ein internationales Forscherteam analysierte bronze- und eisenzeitliche Textilien darauf, ob und wie sie gefärbt wurden. Die durchaus komplexen Ergebnisse sind seit vergangener Woche im Naturhistorischen Museum Wien (NHM) zu sehen.

Das kleine Örtchen Hallstatt im Salzkammergut lockt jedes Jahr nicht nur Massen von Touristen an, sondern auch Scharen von Wissenschaftern, die unter der Leitung von NHM-Forschern teils im hallstattzeitlichen Gräberfeld, teils in den Salzbergwerken nach Zeugen der Vergangenheit graben. Je nach Forschungsrichtung ist dabei alles von Interesse – von prunkvollen Grabbeigaben bis zu konservierten Kothaufen mit ihren Aufschlüssen über Ernährungsgewohnheiten.

In den letzten 160 Jahren wurden im Bergwerk dabei auch hunderte Stofffragmente gefunden, die zum Großteil aus der frühen Eisenzeit (800 bis 400 v. Chr.), teilweise aber noch aus der Bronzezeit (ca. 1600 bis 1200 v. Chr.) stammen. Das Besondere daran: Aufgrund der Konservierung sowohl durch das Salz als auch durch das konstante Klima im Berg sowie durch den Lichtabschluss sind auch die Farben weitgehend erhalten geblieben, wodurch sie zu den bedeutendsten prähistorischen Textilfunden Europas zählen.

Wie diese Farben in die Stoffe kamen und wie sie vor zwei- bis dreitausend Jahren wirklich ausgesehen haben mögen, untersuchten Wiener und niederländische Forscher unter der Leitung von Regina Hofmann-de Keijzer von der Universität für angewandte Kunst Wien im Rahmen eines vom Wissenschaftsfonds FWF finanzierten Projektes. Färben war nie eine simple Angelegenheit, wie Hofmann-de Keijzer erklärt: "Zuerst einmal braucht man einen Farbstoff, der löslich sein muss, damit man den Stoff darin eintauchen kann. Danach darf der Farbstoff aber nicht löslich bleiben, weil er sonst aus dem Gewebe wieder herausgewaschen würde. Außerdem mussten die Menschen ja erst herausfinden, woraus sich überhaupt Farbstoffe gewinnen lassen."

Suche nach Farbstoffen

Letzteres ist alles andere als trivial, wie die Biologin weiter ausführt: So lassen sich zwar mit den grünen Blättern mancher Pflanzen gelbe Färbungen erzielen, aber keine grünen. Auch brauchbares Blau wächst nur bedingt in Wald und Flur, und Rot besonders selten. "Rote Farbstoffe, die bis heute erhalten sind, stammen ausschließlich aus Rötegewächsen, wie Labkräutern, und aus Insekten, genauer gesagt Schildläusen", erklärt Hofmann-de Keijzer.

Auch das Erzeugen von Blautönen ist kein einfacher Prozess, was Projektmitarbeiterin Anna Hartl vom Institut für ökologischen Landbau der Wiener Universität für Bodenkultur bestätigen kann. Mit ungeheurer Geduld und Hartnäckigkeit hat sie die Färbetechnik der Bronze- und Eisenzeit im Garten der Wiener Universität für Bodenkultur rekonstruiert: Sie baute verschiedene infrage kommende Färbepflanzen an und probierte ihre Wirkung auf der Wolle von urtümlichen Schafrassen aus. Die so gewonnenen Erkenntnisse erleichterten die Identifizierung des Farbstoffes in den Hallstatttextilien: In erster Linie kam dabei offenbar die Pflanze Färberwaid zum Einsatz.

Die Forscherinnen gaben sich übrigens nicht mit Färbeexperimenten zufrieden, sondern bemühten sich auch, die Wolle selbst so zu spinnen, wie die prähistorischen Menschen es getan haben. Anfangs erwies sich das als so gut wie unmöglich: Manche Gewebe der Eisenzeit weisen eine Garnstärke von nur 0,2 Millimeter Durchmesser auf – das entspricht einer heutigen Nähseide -, wobei der Faden widerstandsfähig genug sein musste, dass er beim späteren Weben nicht riss.

Viel Zeit und Geduld waren nötig, ehe die Archäologinnen Helga Rösel-Mautendorfer und Karina Grömer (beide vom NHM) und Katrin Kania (Erlangen) hallstattzeitliche Bändchen rekonstruieren konnten.

Für die Herstellung eines zwei mal 1,5 Meter großen Stoffstückes mit einer Fadenstärke von 0,7 Millimetern waren rund zehn Kilometer Faden notwendig. Für das Spinnen, Weben und Fertigstellen des Stoffes in einer komplizierten Webtechnik musste man bis zu 500 Arbeitsstunden aufwenden. Unter diesen Umständen ist klar, dass die Hallstätter dafür keine Zeit hatten: "Die Textilien aus dem Bergwerk wurden sehr wahrscheinlich nicht in Hallstatt selbst erzeugt", erklärt Hofmann- de Keijzer, "hier waren Mann, Frau und Kind viel zu sehr mit Salzabbau beschäftigt. Wo sie erzeugt wurden, wissen wir nicht."

Fetzen als Überbleibsel

Die gefundenen Stücke sind oft klein, meistens nur handtellergroß, und die Forscher gehen davon aus, dass es sich in der Bronzezeit vorwiegend um Teile wollener Transportsäcke handelt und in der Hallstattzeit um "Textilien in Sekundärverwendung", also um das, was man vulgo als "Fetzen" bezeichnet. "Noch brauch-bare Kleidung wäre viel zu wertvoll gewesen, um sie im Berg zurückzulassen", weiß Hofmann- de Keijzer.

Die Erkenntnisse zum Färben mit Naturfarbstoffen sind nicht nur von akademischem Interesse. Im Sinne von Umweltschutz, gesundheitlichen Überlegungen und einem Trend zu Ökoklei-dung gibt es ein steigendes Interesse an natürlichen Färbemitteln. Auch manche Textilkünstler und -handwerker verwenden sie bereits wieder. In der Ausstellung Hallstattfarben wird es deshalb sowohl Rekonstruktionen der Hallstatttextilien als auch neue künstlerische Umsetzungen der alten Konzepte zu bewundern geben, zusätzlich gibt es Vorträge zum Thema. (DER STANDARD, Printausgabe, 08.02.2012)