Max Friedrich berichtet von Fiebertherapien.

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Eine Arbeitsgruppe erforscht, was hinter verschlossenen Türen passierte.

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Innsbruck/Wien - In den 70er Jahren seien Mädchen, die in Heimen lebten, mit Mitteln aus der Tiermedizin "niedergespritzt" worden: So lautet der Vorwurf des Tiroler Historikers Horst Schreiber, Mitglied der Missbrauchs-Untersuchungskommission. Das eingesetzte Präparat, Epiphysan, werde von Veterinären verwendet, um die Brünftigkeit von Kühen zu verhindern, schildert er - und kritisiert vor allem die Psychiaterin Maria Nowak-Vogl, bis 1987 Leiterin der Kinderpsychiatrie der Innsbrucker Klinik.

Laut Schreiber hat Nowak-Vogl "einen Kreuzzug gegen Onanie und gegen sexuelle Übererregtheit" geführt. Sie sei durch streng katholisches Denken und den Nationalsozialismus geprägt gewesen. In dessen Tradition stehe auch die Röntgenbehandlung, die die Psychiaterin in den 70ern zum Beispiel an einem jähzornigen Fünfjährigen angewendet habe. Der ehemalige Chef der Psychiatrie, Hartmann Hinterhuber, bedauerte im ORF-Gespräch die "indiskutablen" pädagogischen Behandlungsmethoden Nowak-Vogls. Diese seien damals jedoch "Mainstream" gewesen.

"Auch damals keine konsensierte Behandlungsform"

Losgetreten wurden die Berichte über fragwürdige Experimente und Heilversuche in Wien. Zwei Männer hatten berichtet, sie seien als Kinder in den frühen 1960er Jahren an der Wiener Uni-Klinik für Psychiatrie zu Therapiezwecken mit Malaria infiziert worden. Die Reaktionen auf diese Schilderungen in Psychiaterkreisen fielen am Dienstag unterschiedlich aus. Dürr die Auskunft im Sozialmedizinischen Zentrum Baumgartner Höhe, das in den 60er Jahren eine geschlossene psychiatrische Anstalt mit 2.500 Betten war - heute sind es 650: "Die Malariatherapie war auch damals keine allgemein konsensierte Behandlungsform in der Psychiatrie", verkündete Direktorin Marion Kalousek.

Ausführlicher hingegen die Stellungnahme von Max Friedrich, Vorstand der heutigen Wiener Uni-Klinik für Neuropsychiatrie des Kinder- und Jugendalters - und Mitglied einer Arbeitsgruppe, die die Vorkommnisse aufarbeiten soll. Seit 1969 an der Uni-Klinik als Psychiater aktiv, habe er selbst zwar keine Malaria-Behandlung durchgeführt oder miterlebt, sagt er.

Schocks sollten heilen

"Doch in den frühen 1970er Jahren habe ich wiederholt von Fiebertherapien in Wiener Privatspitälern gehört. Kinder und Jugendliche aus dem arabischen Raum kamen dazu eigens her, oft mit dem Ziel besserer Lernerfolge", schildert Friedrich. Dabei seien nicht nur Malariaerreger, sondern auch andere fieberfördernde Mittel zum Einsatz gekommen: "Leitend war die Vermutung, dass ein Schock, egal welcher Art, eine Besserung auslösen kann."

Davon ausgehend seien bei - wie Friedrich betont - "erwachsenen" psychotischen Patienten bis in die 70er Jahre auch die Insulin- und die Atropintherapie verwendet worden. Ebenso Elektroschocks ohne Narkose: "Psychopharmaka gab es damals nicht", schildert der Psychiater.

Dafür seien Minderjährige mit der Diagnose "Psychopath" als unbehandelbar abgestempelt worden. Und zwar auf kurzem Weg: "Wer psychisch auffällig war, wurde automatisch in die Uni-Klinik eingeliefert. Beschimpfte er den Psychiater, war die Diagnose sicher." Im Mädchenheim am Wilhelminenberg - "mit einer Direktorin, die in Reiterstiefeln und mit einem Schäferhund durch die Schlafsäle ging" - seien viele Insassinnen so bezeichnet worden. (Irene Brickner, Verena Langegger, DER STANDARD, Printausgabe, 9.2.2012)