Paolo Luers: "Mozote war das letzte große Massaker: Der Preis war zu hoch, vor allem für Washington."

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El Mozote, Oktober 2004: Argentinische Gerichtsmediziner sichern Beweise.

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Am 10. Dezember 1981 drangen Angehörige einer Eliteeinheit der salvadorianischen Armee in das Dorf El Mozote vor. Das Bataillon Atlacatl unter dem Kommando General Domingo Monterrosas trennte am Morgen des nächsten Tages Männer von Frauen und Kindern. Nach der Einvernahme töteten die Soldaten alle Dorfbewohner und zahlreiche Flüchtlinge, zehnjährige Mädchen wurden vergewaltigt, die Kirche, in der die Kinder eingesperrt waren, mit automatischen Waffen beschossen.

Das Massaker von El Mozote stellte einen Wendepunkt im salvadorianischen Bürgerkrieg dar: Als Berichte aus dem abgelegenen Dorf und Bilder der unbestatteten Leichen in die Weltpresse gelangten, wurde es für die Regierung US-Präsident Ronald Reagans immer schwieriger, die Militärhilfe für das mittelamerikanische Land zu rechtfertigen. Im Juni 1982 beschloss der US-Kongress schließlich, die Waffenhilfe drastisch zu kürzen.

30 Jahre nach dem Massaker begab sich El Salvadors Präsident Mauricio Funes nach El Mozote, um die Familien der Opfer um Verzeihung zu bitten. Der Deutsch-Salvadorianer Paolo Luers war damals in der FMLN-Guerilla tätig. Bert Eder befragte ihn zu Funes' medienwirksamem Auftritt, dem umstrittenen Amnestiegesetz, das eine Bestrafung der Verantwortlichen verhindert, und der Debatte über Vergangenheitsbewältigung auch in der ehemaligen Guerilla, die sich mittlerweile zu einer demokratischen Partei gewandelt hat. Außerdem erklärt er, wie sich die FMLN an General Monterrosa rächte.

derStandard.at: Sie waren Mitglied der FMLN-Einheit, die nach dem Massaker von El Mozote zuerst den Ort betrat. Was haben Sie damals empfunden?

Luers: Wut. Eine unbändige Wut. Ich kannte ja die Leute von El Mozote. Ich wusste ja, dass das Leute waren, die sich weigerten, Partei zu ergreifen im Konflikt. Deshalb fühlten sie sich ja auch sicher und hatten keine Furcht, als die Armee einrückte. Die hatten auch keine Angst vor der Guerilla.

Als ich nach dem Massaker nach Mozote kam, wusste ich schon, dass da was Schlimmes passiert war. Ich wurde sofort dorthin geschickt, um herauszufinden und zu dokumentieren, was genau passiert war. Das überstieg meine schlimmsten Befürchtungen. Und als ich das Ausmaß des Massakers sah, war mir klar, dass das der Versuch war, dem Fisch den Teich auszutrocknen, das heißt, die Zivilbevölkerung endgültig zu vertreiben und die Guerilla zu isolieren.

Ohne Volk keine Guerilla, das war die Devise. Für uns ging es also darum, dass die Information an die Öffentlichkeit kam, das haben wir geschafft, und das hat bewirkt, dass Mozote das letzte große Massaker war: Der Preis war zu hoch, vor allem für Washington. Und der Fisch blieb nie im Trockenen ...

derStandard.at: Sie haben die Entscheidung Präsident Funes', in El Mozote des Endes des Bürgerkriegs zu gedenken, kritisiert ...

Luers: Wenn er als Präsident zum 20. Jahrestag des Friedens einen Staatsakt in El Mozote machen will, dann muss er es richtig machen und darf nicht zulassen, dass das zu einer Veranstaltung wird, bei der nur der Opfer einer Seite des Bürgerkrieges gedacht wird und nur die Kriegsverbrechen einer Seite verurteilt werden. Diese Gefahr liegt ja nahe, wenn man einen Ort auswählt, an dem die Armee ein Massaker begangen hat.

Ich habe dem Präsidenten also vor den Feierlichkeiten gesagt: Wenn du nach El Mozote gehst, musst du sowohl die Armee-Generäle als auch die Ex-Kommandanten der Guerilla, die in deiner Regierung sitzen, mitnehmen. Und ihr müsst gemeinsam aller Opfer gedenken und für die Kriegsverbrechen beider Seiten um Vergebung bitten.

Und natürlich hätte die aktuelle Armeeführung sich nicht geweigert, mit dem Präsidenten nach Mozote zu gehen. Erstens, weil inzwischen die Armee wirklich der zivilen Macht untergeordnet ist. Zweitens, weil die Militärs zu einer solchen Geste durchaus bereit sind, wenn es nicht darauf hinausläuft, dass sie alleine an den Pranger gestellt werden. Was ja leider dann in El Mozote geschah.

derStandard.at: Bei Präsident Funes' Amtsantritt 2009 versprach einer seiner Berater, das umstrittene Amnestiegesetz aus dem Jahr 1993 werde nicht angerührt. Nun kritisiert Funes mangelnde Aufarbeitung. Wie sehen Sie diesen Sinneswandel?

Luers: Das ist ein Beispiel dafür, wie unverantwortlich Funes agiert. Nach zweieinhalb Jahren an der Regierung musste er in der Sicherheitspolitik eine Art Kehrtwendung machen und der FMLN die Kontrolle über Polizei und Sicherheitsapparat entziehen. Plötzlich war keiner mehr da, dem er vertrauen konnte, das besser zu machen – bloß die Militärs.

derStandard.at: Wie kann der Präsident dies vor seiner Wählerschaft, die sich von einem linken Präsidenten Veränderungen erwartet, rechtfertigen?

Luers: Das bringt ihn ideologisch gegenüber der FMLN und all den Leuten, die seine Idee des "cambio" (Wechsel, Anm.) unterstützt haben, in eine ganz schwierige Position. Deshalb ist er nach Mozote gegangen, deshalb hat er öffentlich Tränen vergossen, deshalb redet er plötzlich, als wenn er die Amnestie in Frage stellt. Alles Show, und alles geboren aus der Krise, in der seine Regierung und sein politisches Projekt sich befinden. Man darf aber mit Themen wie Amnestie, Wahrheit, Schuld usw. nicht spielen, um ein paar Punkte zu gewinnen.

derStandard.at: Der pensionierte Offizier Sigifredo Ochoa Perez schrieb auf Facebook, dass er bereit sei, "das Vaterland zu verteidigen, wenn der Präsident einen neuen Krieg will". Verteidigungsminister José Atilio Benítez hat die Aussagen Pérez' verurteilt. Offenbaren sich hier Bruchlinien zwischen "alten" und "neuen" Militärs?

Luers: Benitez ist ein Vertreter der Offiziere, die die Friedensabkommen akzeptiert haben und sie konsequent umgesetzt haben, inklusive der Entmilitarisierung der Gesellschaft und des Staates. Im Falle von Ochoa bin ich mir da nicht so ganz sicher. Das ist aber irrelevant, weil Ochoa seit 24 Jahren, also lange vor Kriegsende, aus der Armee ausgeschieden ist. Benitez spricht als aktiver Offizier, Ochoa als Zivilperson.

derStandard.at: Auch auf Seiten der Guerilla wurden Menschenrechte verletzt. Wie ging und geht die FMLN, die mittlerweile zur stimmenstärksten Partei geworden ist, mit solchen Vorwürfen um?

Luers: Das Problem ist: Was bedeutet "Vergangenheit aufarbeiten"? Für einige bedeutet das die Amnestie aufheben und alle Fälle vor Gericht bringen, was meiner Meinung nach völlig unrealistisch wäre und dem Land einen schweren Schaden zufügen würde. Außerdem ist es nicht notwendig: Die Wahrheit ist sehr weitgehend bekannt, und das Einzige, was wir brauchen, ist, dass alle sich offen zu ihr bekennen. Das haben die Generäle, die in der Kriegszeit die Armee geführt haben, ebenso vermieden wie die meisten Guerilla-Kommandanten.

derStandard.at: Wenn man von den Militärs verlangt, ihre Vergangenheit aufzuarbeiten, müssen dann nicht auch ehemalige Guerilla-Kommandanten wie Joaquín Villalobos und Jorge Meléndez zum Mord an Roque Dalton Stellung beziehen? Der linke Schriftsteller wurde als CIA-Informant denunziert und von Kämpfern der ERP-Guerilla ermordet.

Luers: Sowohl das ERP als Organisation als auch Joaquín Villaobos und Jorge Meléndez als Personen haben wiederholt öffentlich und privat (der Familie Dalton gegenüber) die volle Verantwortung übernommen für den Fehler, als Organisation die Hinrichtung Roque Daltons beschlossen zu haben. Sie haben dafür Selbstkritik abgelegt, und sie haben etwas gemacht, was die Kommandanten der anderen FMLN-Organisationen nicht geschafft haben: Sie haben sichergestellt, dass sich der "Fall Dalton" nicht wiederholt.

Als die Kommandanten der FMLN vor der Wahrheitskommission der UNO aussagen sollten, gab es eine lange Diskussion innerhalb der FMLN-Führung. Am Schluss gab es einen Beschluss, dass es das Beste sei, wenn alle Karten auf den Tisch gelegt werden und die Mitglieder der Comandancia General eindeutig gegenüber der Wahrheitskommission die Verantwortung übernehmen für die Menschenrechtsverletzungen ihrer jeweiligen Organisationen und ihrer militarischen Einheiten.

Die Einzigen, die das gemacht haben, als sie vor der internationalen Wahrheitskommission standen, waren Villalobos und Meléndez. Der Rest der FMLN-Kommandanten, ebenso wie die Offiziere des Generalstabs der Armee, hat sich geweigert, die Verantwortung zu übernehmen, und sie auf untergeordnete Instanzen, die auf eigene Faust gehandelt haben, abgewälzt.

Deshalb sind im Bericht der Wahrheitskomission auch nur die Kommandanten des ERP (geführt von Villalobos) als Verantwortliche von Menschenrechtsverletzungen aufgeführt und nicht Schafik Handal (Chef der KP) oder Salvador Sanchez Cerén (Chef der FPL und jetziger Vizepräsident).

derStandard.at: General Monterrosa, der für das Massaker von El Mozote verantwortlich war, starb laut Guerilla durch einen lange vorbereiteten Anschlag. Er war auf dem Weg zu einer Pressekonferenz, wo er einen beschlagnahmten Radiosender präsentieren wollte, als ein in dem Gerät verborgener Sprengsatz detonierte. Andere Quellen sprechen von internen Streitigkeiten im Militär oder von einem technischen Defekt seines Hubschraubers. Wie war das damals wirklich?

Luers: Er ist so gestorben, wie wir das immer beschrieben haben: als Resultat einer langen Planung und eines psychologischen Krieges, in den wir Monterrosa hineingezogen haben. Für Monterrosa wurde das Guerilla-Radio Venceremos zu einer Art Obsession und ERP-Kommandant Villalobos zu einer Art Alter Ego. Das wurde sorgsam und bedacht geschürt, Radio Venceremos spielte da eine wichtige Rolle, aber auch gezielte Falschinformation über militärische Radios usw.

Es ging darum, sicherzustellen, dass die Armee den Sender beschlagnahmen würde im Glauben, dass der Druck des Militärs uns gezwungen hatte, das Gerät zurückzulassen. Das alles war nicht einfach in Szene zu setzen ... Es musste so aussehen, als wenn wir in Morazán am Punkt der Niederlage wären.

Das heißt, unsere Truppen mussten in Funktion dieser Lüge agieren, Niederlagen und Verluste simulieren usw. Und außerdem mussten wir sicherstellen, dass Monterrosa der Versuchung nicht widerstehen konnte, persönlich den beschlagnahmten Apparat, das heißt den Köder, abzuholen. Was er auch tat: Er lud ihn in seinen Hubschrauber, ohne nach Sprengstoff zu suchen. Das Ding ging hoch.

derStandard.at: Wie geht es im Fall der ermordeten Jesuitenpadres weiter (derStandard.at berichtete)? Ist die Einmischung Spaniens hilfreich, wenn die salvadorianische Justiz keine Fortschritte erzielt oder erzielen will?

Luers: Das hilft überhaupt nicht weiter. Es geht gar nicht darum, ob die salvadorianische Justiz "Fortschritte erzielt". Rechtlich ist nichts weiterzubringen, weil es ein Amnestiegesetz gibt. Wer Interesse daran hat, das Amnestiegesetz auszuhebeln, wird die Einmischung Spaniens als "hilfreich" ansehen.

Das sind aber hier sehr wenige, und die meisten davon fordern die Aufhebung der Amnestie auch nur deshalb, weil sie wissen, dass das Gott sei Dank nicht passieren wird ... Keiner will das wirklich, die FMLN hält sich da auch eher bedeckt. Und das hat einen sehr einfachen Grund: Jeder weiß, dass ohne die Amnestie wir nie zum Waffenstillstand gekommen wären. (derStandard.at, 9.2.2012)