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Präsident Berdymuchammedow wird Staatschef bleiben.

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Experte Danil Kislow bezeichent die Wahl als Farce.

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Moskau/Aschchabad - In Turkmenistan wird gewählt, doch die Wahl ist reine Farce, meint der Zentralasien-Experte Danil Kislow. Mit dem Standard hat er über die Regime in Zentralasien und deren Perspektiven gesprochen. Das Interview führte André Ballin.

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Standard: In Turkmenistan wird gewählt. Wer gewinnt?

Kislow: Ganz klar: Amtsinhaber Gurbanguly Berdymuhammedow. Wenn bei den jüngsten Parlamentswahlen in Kasachstan zumindest so etwas wie die Imitation von Wahlen geschaffen wurde, mit Wahlbeobachtern und - wenn auch aufgezeichneten - TV-Debatten der Parteien, so sind die Wahlen in Turkmenistan ein absolutes Theater. Der Präsident hat seine sieben Gegenkandidaten ernannt und Jeder versteht, dass sie völlig unbekannt und unbedeutend

Standard: Es sind bestellte Beamte?

Kislow: Genau, es sind Beamte, die niemand kennt, weil es kein politisches Leben gibt. Außer dem Präsidenten tritt niemand im Fernsehen oder der Öffentlichkeit auf. Die Wahlen sind daher absolute Attrappe. In Turkmenistan ist nicht nur die Opposition ausgelöscht, es fehlen neben dem Präsidenten überhaupt irgendwelche der Öffentlichkeit bekannten politischen Figuren. Wer Minister oder Parlamentschef ist, wissen nur Eingeweihte.

Standard: In Kasachstan gab es zwar Proteste vor den Wahlen, doch nach den Wahlen war es ruhig. Auch in Turkmenistan sieht die Lage äußerlich stabil aus. Stimmt das?

Kislow: Die Wahlen werden kein Grund für einen Aufstand dort sein. Unseren Informationen nach hat das Volk in Kasachstan nicht gewählt. Nur ein Viertel oder maximal ein Drittel der Wahlberechtigten hat abgestimmt. Das war in Almaty gut zu erkennen, wo es viele Wahlbeobachter gab, und es deshalb schwieriger war zu manipulieren. Die offizielle Wahlbeteiligung dort lag bei 29 Prozent. Das bedeutet, dass dem Volk diese Wahlen völlig gleichgültig sind. Sie glauben nicht daran, dass sich dadurch etwas ändert. Und so ist es auch, denn das Ergebnis stand schon vorher bis ins Detail fest.

Die Präsidentenwahlen in Turkmenistan sind genau so illegitim wie die Parlamentswahlen in Kasachstan. Aber Aufstände wird es deswegen in Aschchabad nicht geben. Die Gesellschaft ist unterdrückt, depolitisiert. Es gibt keine Moral und kein Selbstbewusstsein. Die Gesellschaft interessiert sich nicht für Politik. Es gibt keine Informationen, kein Internet, nichts, was das Interesse der Menschen an der Politik wecken könnte.

Standard: Welche politischen Prozesse vollziehen sich derzeit in Zentralasien oder lässt sich das nicht verallgemeinern?

Kislow: Es gibt Gemeinsamkeiten, die sich auch auf Russland und Aserbaidschan erstrecken. Das ist die Hälfte der ehemaligen Sowjetunion, die nach Osten schaut. Bei all den Regimen ist eine Degradierung der politischen Führung zu erkennen, die sich auf eine Konservierung der Macht ohne jegliche Modernisierung fokussiert. Interessant dabei ist, dass die Obrigkeit in diesen Ländern gebetsmühlenartig die Worte Modernisierung, Liberalisierung und Demokratisierung wiederholt. Doch es bleibt beim Wort.

Standard: Was für eine Art Regime herrscht denn in den zentralasiatischen Republiken?

Kislow: Diese Systeme kann man heute als feudalen Kapitalismus bezeichnen. Nach dem Zerfall der Sowjetunion sind viele Länder ihrer Verwaltungsstruktur nach ins 18. Jahrhundert zurückgekehrt, in eine Zeit, bevor sich das Russische Imperium dort ausbreitete. Damals wie heute ernennt der Emir (heute Präsident) seine Anführer zu Oberhäuptern der Regionen. Die regieren dort willkürlich und pumpen Geld ab. Die Elite ist allein damit beschäftigt, Geld aus der Wirtschaft, den Rohstoffeinnahmen und dem Volk herauszuziehen, um damit ihre eigene Sicherheit zu stärken und das Regime zu festigen.

Standard: Sind die Regime überlebensfähig?

Kislow: Die mangelnde Wandlungsfähigkeit ist eine Bedrohung für die politischen Regime selbst. Dass das gefährlich ist, zeigen die zwei Revolutionen in Kirgisien. Kirgisien gilt als das demokratischste Land, doch auch dort war die Führung damit beschäftigt, die wenigen Ressourcen unter sich aufzuteilen. Das vom Handeln der Elite aufgebrachte Volk hat diese gestürzt. Ähnliches ist heute ja in Moskau auf dem Bolotnaja-Platz zu sehen. Der Unterschied zwischen Moskau und Bischkek besteht darin, dass in Kirgisien die ungebildete Unterschicht auf die Straße geht, während es in Russland das Bildungsbürgertum ist. In praktisch jeder zentralasiatischen Republik kann es zu einem blutigen Konflikt zwischen Volk und Obrigkeit kommen.

Standard: In Usbekistan wurde ein solcher Aufstand ja 2005 brutal niedergeschlagen. Derzeit ist ein Szenario für einen „arabischen Frühling nicht zu erkennen. Wie sehen die Perspektiven der zentralasiatischen Regime aus?

Kislow: In Usbekistan wird es wie in Turkmenistan ohne arabischen Frühling und gravierende Veränderungen abgehen. Die Geduld des Volkes ist hoch. Präsident Islam Karimow ist noch recht rüstig und doch fürchten seine Anhänger schon fünf bis sieben Jahre, dass er plötzlich stirbt. Das ist das eigentlich größere Problem: In den zentralasiatischen Ländern fehlt ein Modell zur Machtübergabe. Jedes System braucht ein solches Modell. In Asien ist der traditionelle Weg eine Dynastie. Nur: Kasachstans Präsident Nasarbajew hat drei Töchter und einen noch ganz kleinen Sohn von seiner zweiten Frau. Usbekistans Präsident Karimow hat zwei Töchter. Aber in den Ländern wird keine Frau Präsidentin. (derStandard.at, 12.02.2012)