Hans Rauscher ist den Verursachern der Finanzkrise nachgegangen und kommt dabei - nicht zum ersten Mal - zu völlig realitätsfremden Befunden.

1. Mittlerweile geht selbst der keineswegs linkslastige IWF davon aus, dass eine entscheidende Ursache für das Entstehen der Finanzkrise die weltweit zunehmende Verteilungsschieflage bei Einkommen und Vermögen ist. Die Gewinnquoten stiegen weit stärker als die Lohnquoten. Nur ein kleiner Teil der Gewinne floss wieder zurück in die Realwirtschaft, der größere Rest kursierte weltweit an den Börsen auf der Suche nach immer höheren Renditen. Durch diesen Veranlagungsnotstand wurden auf Druck der Anleger die Finanzmärkte vor den Augen der Finanzmarktaufsicht in immer riskantere Veranlagungen getrieben. Das Ergebnis ist bekannt. Rauschers sarkastische Rede von der "Verschwörung der Mittelschicht" spricht daher der Realität Hohn.

2. Die "Kampfaufträge" von ÖGB und AK an die SPÖ für höhere vermögensbezogene Abgaben träfen voll die mittlere bis obere Mittelschicht: Das kann Rauscher nur behaupten, weil er die Fakten zur Verteilung von Vermögen in Österreich beharrlich negiert. Die Erhebungen der Nationalbank zeigen bei Geld- und Immobilienvermögen (470 bzw. 880 Milliarden Euro) eine extrem ungleiche Verteilung. Zwei Beispiele erhellen das: Die untere Hälfte der Verteilung (1,8 Millionen Haushalte) verfügt über acht Prozent des Geldvermögens, das ist gleich viel wie das oberste Promille der Verteilung (3600 Haushalte). Die Verteilung des Immobilienvermögens ist noch ungleicher: Das oberste Zehntel der Haushalte besitzt 61 Prozent des Immobilienvermögens, das oberste Drittel 86 Prozent. 41 Prozent besitzen gar keine Immobilien. In die Welt der Reichen stößt die OeNB aber nicht vor, weil sie u. a. die extreme Ungleichheit beim Erben geradezu verharmlost.

Die Verteilung der Vermögen ist somit eine Frage der Polarisierung zwischen oben und unten. Es geht nicht um die immer wieder beschworene Mittelschicht. Die Unterscheidung in Mittelschicht und Reiche ist eine willkürliche Referenz, die keinerlei Schlussfolgerungen zu Gerechtigkeit erlaubt. Sie eignet sich aber bestens, die Mittelschicht bzw den Mittelstand (das Kleingewerbe) vorzuschieben, um die Besteuerung der Vermögenden zu verhindern.

Jenseits der in der politischen Debatte stets präsenten Mittelschicht gibt es eine Unterschicht, ein abgehängtes Prekariat mit Ausprägungen von extremer Armut. Zur Herstellung von Gerechtigkeit sind die Pole Arm und Reich interessant. Es ist daher entscheidend, wer die Lasten der Konsolidierung zum Abbau der Staatsschulden tragen soll. Wer Gerechtigkeit will, muss Ja zu Besteuerung von Vermögen sagen. - Zur Erinnerung: Bis in die 1980er-Jahre gab es international einen von Politik, Gesellschaft und Wissenschaft getragenen steuerpolitischen Grundkonsens, dem zufolge die Leistungsfähigkeit bezogen auf Einkommen und Vermögen das dominante Prinzip zur Herstellung von Steuergerechtigkeit war. Die progressive Besteuerung von Einkommen und die Besteuerung des Bestands und des Übergangs von Vermögen waren gesellschaftlich erwünscht. Warum, Herr Rauscher, soll das heute bei deutlich höheren Einkommen und Vermögen anders sein?

3. Den Sozialstaat (samt Pensionen) für den Anstieg der Schuldenquote bis 2007 verantwortlich zu machen ist empirisch völlig unhaltbar. Die Fakten sagen anderes. Von 1970 bis 2007 ist die Sozialquote von 21% des BIP auf gut 28% gestiegen. Gleichzeitig erhöhte sich die Abgabenquote von 34 auf 42 Prozent des BIP. Der Ausbau des Sozialstaates, der sich in der Krise ab 2007 als Stabilisator erwiesen hat, wurde zur Gänze durch höhere Steuern und Beiträge finanziert. Ihn als Verursacher der Staatschuldenkrise verantwortlich zu machen geht ins Leere, öffnet aber dem Sozialabbau Tür und Tor. Das ist wohl auch der Zweck der Übung.

Auch das kommende Sparpaket indiziert, dass die Verursacher die mächtigen Reichen waren. Eine Erbschafts- und Vermögenssteuer wird es nicht geben. (Bruno Rossmann, DER STANDARD, Printausgabe, 13.2.2012)