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Gesellschaft ohne Ausgang aus der Starre, aber prima eingedeckt mit echtem Opernbombast: Hege Gustava Tjonn und Ignaz Kirchner im Kasino am Schwarzenbergplatz.

Foto: APA/ANDREAS PESSENLEHNER

"Nach der Oper. Würgeengel" erstickt im Burg-Kasino in Bombast und falscher Bedeutsamkeit.

Wien - Edmundo Nóbile (Ignaz Kirchner), ein Herr mit strahlend weißem Kummerbund und bedrückend dunkler Onassis-Brille, ist der denkbar anstrengendste Gastgeber. Er hat eine Gesellschaft von Hochkulturschmocks in sein Haus im Kasino am Wiener Schwarzenbergplatz eingeladen. Dort, zwischen Polstermöbeln und stocksteifen Kammerdienern, lassen die fast 20 Damen und Herren eine Aufführung von Richard Wagners Tristan und Isolde auf ihre zarten Gemüter nachwirken.

Eigentlich sollen Edmundo und seine Gäste einen Schmortopf vorgesetzt bekommen. Leider fällt der Diener mit der Wärmeplatte der Länge nach hin. Macht aber gar nichts, denn die Abendgesellschaft dürfte sich bereits vorab an einem Zettelkasten überfressen haben.

Nach der Oper. Würgeengel heißt das Theater-Remake eines häufig zitierten Schwarz-Weiß-Filmes, den Luis Buñuel 1962 in Mexiko gedreht hat. Der Würgeengel ist im Original ein herrlich lakonisches Planspiel: Vertreter der besseren Gesellschaft gehen in ein Haus, das sie mysteriöserweise nicht mehr verlassen können. Nach etwas mehr als 90 Minuten ist alles vorüber: Ein Liebespaar ist im Kasten gestorben, die Damen und Herren haben in Porzellanvasen uriniert. Draußen, im "wirklichen" Leben, metzelt die Polizei demonstrierende Arbeiter nieder. Alles geht seinen gewohnten Gang.

Für Neo-Regisseur Martin Wuttkes fürchterlich umständlichen Theater-Essay stellt Buñuels Meisterfilm eine Art Planskizze dar. Die Namen der Mitwirkenden sind bloß Spieljetons. Sie werden entsprechend lieblos hin- und hergeschoben.

In Wahrheit möchte Wuttke die bessere Gesellschaft an ihren empfindlichsten Stellen treffen: dort, wo ihre Geschmacksnerven sitzen. Die Bühne (Nina von Mechow) ist ihrerseits nur das: eine Projektionsfläche, seitlich von zwei Paravents eingefasst, über die rätselhafte Traumgesichte aus dem Beamer flimmern. Man sieht junge Männer in ihrem Blut schwimmen. Teilnehmer der Abendgesellschaft liegen, die Gliedmaßen ineinander verkeilt, in tiefem Schlummer. Die ganze Atmosphäre badet in saurem Wagner-Kitsch (Video: Meika Dresenkamp). Man muss befürchten, dass sich Wuttke mit seiner Unternehmung als szenischer Landschaftspfleger am Grünen Hügel von Bayreuth bewirbt.

Und so ist es auch kein Zufall, dass man Herrn Nóbile verschiedentlich und nicht falsch als "Herrn von Essenbeck" anspricht. Hinter den Bildern lauert anzüglich das Faschismusgespenst, und natürlich spukt dieses in der Krupp-Villa aus Viscontis Die Verdammten herum. Vorne links schrummt ein zehnköpfiges Orchester (Universität für Musik und darstellende Kunst) einen herrlichen Mix aus Tristan - dem kompletten dritten Akt - sowie Schönbergs aufgeputschter Erwartung. Eigentlich könnte in solchen Momenten kostbarster Überladenheit auch ein Elefant um die Ecke biegen oder ein Fieseler Storch unter der Decke Loopings drehen. Es käme alles auf das Gleiche heraus.

Umgekehrt: Wann kommt man schon zu solch erschwinglichen Konditionen in den Genuss eines Opernkonzerts (famose Leitung: Arno Waschk)? Zumal sich einige Partygäste als veritable Goldkehlen entpuppen: Martin Mairinger als Tristan, Hege Gustava Tjonn als Isolde.

Philosophisches Palaver

Wuttkes Würgeengel-Mixtur opfert bereitwillig dem Geist, den sie zu entlarven vorgibt. Sie würdigt die herrlichsten Schauspieler dieses Landes zu Stichwortgebern und -empfängern herab.

Sie teilt generös philosophisches Palaver nach allen Seiten aus: Dann muss Bibiana Zeller allerlei Mythogenes aus der Denkschmiede von Jean-Luc Nancy raunen, darf Peter Matic einen eitlen Dirigenten geben oder Stefanie Dvorak ein pistolenschwingendes Partygirl. Nicht zu vergessen: Der Freimaurer Christiáno (Dirk Nocker) trägt einen Blähbauch spazieren. Er konkurriert furzend mit den Klangmassen des Orchesters und endet, nachdem die ganze Gesellschaft eine Art Kältetod gestorben ist, als Opfertier auf der Tafel. Auch sonst fällt ein Schuss. Nóbile stirbt ausgerechnet von der Hand seiner Frau. Wuttke ist generös: Er lässt Isolde das letzte Wort: "unbewusst / höchste Lust." Der Applaus schien bewusst sparsam. (Ronald Pohl, DER STANDARD - Printausgabe, 14. Februar 2012)