
Protest und Performance: Marcello Malobertis "The Ants Struggle on the Snow".
Tunesien, Ägypten, Libyen. Protest in Moskau. Aufruhr in Großbritannien, Italien, Spanien, New York. Wird das 21. Jahrhundert Dekaden der Empörung, der Unruhen sehen? Wird es Auseinandersetzungen geben an Orten, von denen man es bisher nicht erwartet hat, um Positionen, bei denen sich die Unterscheidung zwischen links und rechts, Avantgarde und Bewahrung verwischt wie in Stuttgart bei der Bahnhofsblockade?
Die Straße ist eine Waffe. Der auf die Straßen getragene Protest war schon immer eine Waffe. Das zeigt der Frankfurter Kunstverein in der Tiefenbohrungsschau Demonstrationen. Vom Werden normativer Ordnungen. Multimedial geht es zu. Von Grafiken des 19. Jahrhunderts bis zu einem Video aus diesem Jänner, von Spott über Louis XVI, einem filmischen Porträt der iranischen Revolution 1978 bis zu Jana Gunstheimers Zyklus Methods of Destruction (2011), für den sie Werke der Kunstgeschichte "erschoss", reicht der Bogen.
Bei ihr wird Goyas Gemälde Erschießung der Aufständischen (1814) zum Medienereignis, zu einer sich mehrfach als Bild im Bild spiegelnden Szene. Diese Ausstellung will zeigen, wie Protest geht, dabei ist allerdings so manches Exponat von dieser These arg überfrachtet. Einige der 40 Künstlerinnen und Künstler wichen rein Exklamatorischem, hier elegant, dort harmlos, aus.
Gibt es Protest, der wahrgenommen wird, ohne entsprechende Optik? Ist ohne Wiedererkennungswert Renitenz ineffektiv? Dass im Kunstverein Gegenwartsunruhen durch Historisches untermauert werden, ist einleuchtend und zeigt, dass manche antirepressive Protestform nicht aus der Mode gekommen ist und Vorläufer besaß, zum Beispiel in der europäischen Revolution von 1848, deren Niederschlagung Regierungen inthronisierte, deren erstickender Paternalismus zu Monarchien führte, die reformunfähig waren. 1914 entlud sich die aufgestaute systemische Verknöcherung in einer Apokalypse.
Die Demaskierung
Aalam Wassefs Installation im Empfangsbereich The Tyrant's Cape von 2012, eine böse Persiflage auf Mubarak, Ägyptens gestürzten Pharao, schlägt eine weitere Note an: Demaskierung durch Respektentzug via Gelächter. Noch böser zeigen dies Anetta Mona Chisa und Lucia Tkáèová im Video Dialects of Subjection. Zwei junge Frauen hecheln als "pillow talk" Europas Regierende, von Schröder bis Lukaschenko ("Ohne Schnurrbart ist er unsichtbar."), auf ihre Sexiness hin durch.
Sharon Hayes hingegen verzichtet in Parole, einer 35 Minuten langen Videoarbeit, ganz auf Blendung. Sie setzt vielmehr auf das Beobachten ihrer Protagonisten, die auf Hauptstraßen in Großstädten aufwiegelnde Reden halten. Anderes hingegen, Nicoline van Harskamps Yours in solidarity beispielsweise, ist kaum mehr als ein asketisches Auffächern von Forschungsergebnissen. Massimo Vitalis riesiger C-Print Picnic Allée zeigt wiederum auf, dass selbst eine Idylle Sit-ins à la 1968 ausbrüten kann.
Dass die Paulskirche, 1848 Sitz des ersten demokratisch gewählten Parlaments, buchstäblich nur einen Pflastersteinwurf vom Kunstverein entfernt liegt, ist eine schöne Koinzidenz. Viele der historischen Flugblätter, Gemälde, Karikaturen beziehen sich auf den damals gescheiterten Demokratieversuch. Nicht durchgehend gelingt es Holger Kube Ventura, dem Direktor des Kunstvereins, jedoch nachvollziehbare Verbindungen zwischen den Aufständen der Vergangenheit und den Protestformen der Gegenwart herzustellen.
Üppiges Begleitprogramm
Oft reicht dafür die Qualität der Arbeiten nicht aus. Zu groß ist etwa die Distanz zwischen Christodoulos Panayiotous mit trockenem Humor servierter Diaprojektion Wonderland und No Suntags State of Emergency, einem wütenden Fotoessay über polizeiliche Unterdrückungspolitiken.
Umfangreich ist das Begleitprogramm. Das verdankt sich wohl dem Umstand, dass die Ausstellung vom Exzellenz-Cluster "Die Herausbildung normativer Ordnungen" der Frankfurter Universität theoretisch flankiert worden ist. Es ließ sich bereits mit 40 Wissenschaftern diskutieren in einem "Amt für Umbruchsbewältigung", das drei Tage lang das städtische Presse- und Informationsamt okkupierte. Warten wir ab, ob demnächst EU-Länder nachziehen und Ministerien ebendieses Namens einrichten. (Alexander Kluy aus Frankfurt, DER STANDARD/Printausgabe 15.2.2012)