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Ein neues System zur Erkennung gefährlicher Objekte zeigt nur das Nötigste: eine Alternative zum Nacktscanner-Skandal.
In drei EU-Projekten soll nun hinterfragt werden, was die Menschen selbst von Überwachungstechnologien und Datenschutz halten.
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Es ist ein ständiges Tauziehen: Ein Jusstudent wird zum Einzelkämpfer gegen den Social-Network-Riesen Facebook. Netzaktivisten machen mobil gegen ein Anti-Piraterie-Abkommen. Die Hacker von Anonymous stehlen im Namen des Datenschutzes reihenweise sensible Daten. Und davon gibt es bekanntlich genug.
Die Datenspur, die jeder hinterlässt - Facebook-Nutzer genauso wie -Verweigerer -, weitet sich zu einem immer breiteren Strom aus. Jeder Einkauf im Internet oder auch nur mit einer Kundenkarte, jeder Eintrag in der Suchmaschine, jeder Download, jede Bewegung in der virtuellen Welt wird registriert. Auf öffentlichen Plätzen filmen Überwachungskameras mit, Telefon- und Flugdaten werden aus Gründen der Kriminalitäts- und Terrorbekämpfung gesammelt und gespeichert.
Wo enden die Vorzüge weltweiter, sozialer Vernetzung und wo beginnt die Ausbeutung persönlicher Daten? Inwieweit sind wir bereit, für die öffentliche Sicherheit privateste Informationen preiszugeben? Sind diverse Überwachungstechnologien überhaupt sinnvoll? Diesen Fragen widmen sich dieser Tage 30 Forscher aus zwölf Ländern, die noch bis morgen, Donnerstag, an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) tagen.
Anlass ist der Start von gleich drei Sicherheitsforschungsprojekten, die von der EU finanziert werden und mehr Licht in das brisante Verhältnis von Überwachung, Sicherheit und Privatsphäre bringen sollen. Alle drei Projekte verbindet, dass sie die Meinungen und Wahrnehmungen der Bürgerinnen und Bürger in den Mittelpunkt stellen wollen.
"Privatsphäre und Sicherheit sind sehr sperrige Begriffe, und wenn man danach fragt, ist jeder für beides", sagt Michael Friedewald vom Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung in Karlsruhe. "Das reale Handeln ist aber anders: Der Nacktscanner am Flughafen wird plötzlich abgelehnt, und wenn es um Facebook geht, ist es den meisten völlig egal, was mit ihren Daten passiert."
Friedewald koordiniert das Projekt "Prisms" (Privacy and Security Mirrors), welches das Dilemma lösen will, dass mehr Sicherheit fast immer automatisch mit weniger Privatsphäre einhergeht. Zuerst sollen die verschiedenen Dimensionen des Problems aufgearbeitet, die Sicht der Politik, der Medien, der Kriminologen, der Techniker ebenso wie der Datenschützer betrachtet werden. Die daraus gewonnenen Thesen fließen dann in eine europaweite repräsentative Befragung ein. Rund 27.000 Menschen, 1000 aus jedem EU-Mitgliedsstaat, sollen in Telefoninterviews ihre Ansichten äußern - was in der Folge auch Ländervergleiche ermöglicht.
Bürgerbeteiligung per Zufall
"Die überwiegende Mehrheit ist sehr skeptisch gegenüber der dominierenden Leitlinie der Politik, dass die Bürger für mehr Sicherheit Einschnitte in die Privatsphäre in Kauf nehmen müssen", weiß Johann Èas vom Institut für Technikfolgen-Abschätzung (ITA) der ÖAW in Wien aus vorangegangenen Studien. Im aktuellen Projekt namens "Surprise" (Surveillance, Privacy and Security), das Èas leitet, wollen die Forscher in einem breiten Bürgerbeteiligungsverfahren herausfinden, was die Menschen wirklich über Überwachungsmaßnahmen, Sicherheitstechnologien und ihre Grundrechte denken. In neun EU-Staaten werden nach Zufallskriterien jeweils 250 bis 300 Personen eingeladen, um über konkrete Fragestellungen zu diskutieren.
"Wir greifen bestimmte Fälle auf und schauen, welche Möglichkeiten es gibt, ein Sicherheitsproblem aus rechtlicher und technischer Sicht zu lösen", sagt Èas. "Etwa, wie Norwegen auf das Attentat von Anders Breivik reagiert hat und welche Reaktionen es in Österreich gegeben hat. Oder welche Konzepte es in verschiedenen Ländern für die Vorratsdatenspeicherung gibt." Was sie von den Maßnahmen und möglichen Alternativen halten, sollen die Bürger in Kleingruppen debattieren, danach wird anonym über die Wirksamkeit von Überwachung und Lösungen abgestimmt.
"Wir wollen auch hinterfragen, inwieweit Sicherheitstechnologien zu mehr Unsicherheit führen", betont Èas. "Wenn alles protokolliert wird und ein Gefühl der Zensur entsteht, birgt das mehrere Risiken: Ein demokratiepolitisches, weil sich womöglich weniger Menschen gesellschaftlich engagieren, aber auch ein wirtschaftliches Risiko, da innovative Entwicklungen oft auf abweichendem Verhalten basieren."
Gesammelte Datenflut
Ob Überwachung und Datentransparenz neben bedenklichen Effekten auch positive bereithalten, untersucht das Projekt "Iriss" (Increasing Resilience in Surveillance Societies). "Gibt es in Zukunft nur mehr Netzzombies oder bringt die Virtualisierung und Vernetzung auch neue Chancen für engagierte Netizens im Sinne von Citizens?", fragt sich Reinhard Kreissl, Projektkoordinator und wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Rechts- und Kriminalsoziologie (IRKS) in Wien.
In Fallstudien soll das Verhältnis der Bürger nicht nur zum Staat, sondern auch zu Unternehmen analysiert werden, die immer mehr über ihre Kunden wissen. Kreissls Team wird daher versuchen, alle persönlichen Daten zusammenzutragen, die von einer Person gespeichert sind - bei Banken, Telekommunikationsunternehmen, Versicherungen, der örtlichen Gemeinde etc.
In einem "Sozialexperiment", werden die Wissenschafter außerdem gemeinsam mit NGOs Situationen aufbauen, in denen Menschen mit Überwachung konfrontiert werden. "Wir wollen uns ein umfassendes Bild machen, wie die Leute in freier Wildbahn auf Überwachung reagieren", sagt Kreissl. Er ist überzeugt: "Wir müssen raus aus der Dichotomie: Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten. Die Zusammenhänge sind komplexer."
Schlussendlich sollen alle drei Projekte den Behörden und Technologieentwicklern eine Entscheidungshilfe bieten. Nicht nur, um Grundrechtsfragen von Anfang an miteinbeziehen, sondern auch, um zu berücksichtigen, was in den Köpfen der Bevölkerung - und letztlich der Nutzer - vorgeht. (DER STANDARD, Printausgabe, 15.02.2012)