Geschmacklosigkeit muss Grenzen haben, auch und gerade im Journalismus. Blickt man dieser Tage auf gewisse regierungsnahe Medien in Ungarn, kann man nur sagen, schlimmer geht es kaum, noch dazu mitten in Europa. Die Diktion, die ein Zsolt Bayer - ein enger persönlicher Vertrauter von Ministerpräsident Viktor Orbán - gegenüber der österreichischen grünen EU-Parlamentarierin Ulrike Lunacek öffentlich in Print und TV anwendet, ist Pöbelei per se und an Widerwärtigkeit, an Unflätigkeit unübertreffbar. Man könnte das Niveau solcher publizistischen Äußerungen auch schlicht medialer Abschaum direkt aus der Gosse nennen.

Frage: Was hatte den Schreiberling und TV-Moderator derart auf die Palme gebracht, dass er sich unbändig im Vokabular vergriff? Ulrike Lunacek hatte im EU-Parlament antisemitische und EU-feindliche Parolen im Rahmen der Budapester Sympathie-Demonstration für die Orbán-Regierung am 21. Jänner kritisiert. Zsolt Bayer hatte diesen "Friedensmarsch" mitorganisiert. Veranstalter waren übrigens u. a. der Medienmogul Gábor Szeles - Inhaber der Zeitung "Magyar Hirlap" und des rechtsextremen TV-Senders EchoTV, bei beiden ist Bayer beschäftigt - und András Benedik, der Chefredakteur des antisemetischen Wochenmagazins "Magyar Demokrata".

Wie der ungarische Journalist die EU-Parlamentarierin darauf beflegelte, möchte ich hier nicht wiedergeben. Auch nicht die seltsamen Wortgebilde, mit denen er die für elektronische Medien zuständige EU-Kommissarin Neelie Kroes bedachte. Zsolt Bayer hatte übrigens als Forum u. a. seine TV- Sendung "Korrektúra" gewählt.

Was geschah daraufhin bisher von offizieller Seite in Ungarn? Nichts. Dabei wäre gerade dieser Fall ideal für die Anwendung des neuen Mediengesetzes und den Einsatz des von kritischen Geistern angezweifelten Medienrates Orbánscher Prägung. Dieser soll Print- und elektronische Medien mit hohen Geldbußen bestrafen, wenn nicht "politisch ausgewogen" berichtet wird. Die Ausfälle des Herrn Z. B. waren jenseits jeglicher Nahbereiche von Ausgewogenheit. Die EU-Parlamentarierin erwägt nun, selbst bei der Medienbehörde eine Beschwerde einzureichen.

Soweit zu diesem Fall, der, wie es scheint, nur ein Symptom des demokratiepolitischen Stimmungsumschwungs in Viktor Orbáns neuem Ungarn ist. Wer bedingungsloser Freund der Regierung ist, kann offenbar hemmungslos andere mit Schimpfwörtern der übelsten Sorte verunglimpfen. Wer die derzeitige Situation kühl analysiert, gilt hingegen schon als feindverdächtig, also bekämpfenswert.

So geschehen auch im Zuge der Verleihung des Press Freedom Awards von Reporter ohne Grenzen Österreich im Dezember vergangenen Jahres. "Rényi Pál Dániel und Maria Vásárhelyi sind die Empfänger des Press Freedom Awards 2011. Der in diesem Jahr für Ungarn ausgeschriebene Preis wurde für Beiträge zum Thema Pressefreiheit in den Wochenzeitungen 'Magyar Narancs' bzw. 'Elet es Irodalom' verliehen", lautete die Begründung der Jury.

Kaum hatten die beiden glücklich ihre Preise nach Hause gebracht, flatterte auch schon im Wiener ROG-Büro ein Protestschreiben des ungarischen Botschafters herein. Mit der Bitte um Weiterleitung an den Sprecher der Preisjury, den früheren Generalsekretär im Wiener Außenministerium, Albert Rohan. Botschafter Vince Szalay-Bobrovniczky vermutete eine Irreführung der Jury, Rohan korrigierte dieses eklatante Missverständnis mit klaren Argumenten.

Heißt all dies, dass in Ungarn mit zweierlei Maß gemessen wird? Dass ein Freund der Regierung sich trotz Medienrechts alles erlauben kann? Dass die publizistische Leistung unabhängiger JournalistInnen hingegen nicht anerkennungswürdig sein darf?

Ulrike Lunacek hat im EU-Parlament ein Verfahren nach Artikel 7 gegen Ungarn eingefordert. Also wegen Verletzung des EU-Wertesystems. "Es ist eine riesige Enttäuschung, dass ein Land wieder hinter einen Eisernen Vorhang gesperrt werden soll, das immer jeden aufgenommen hat, ob Deutsche, Griechen oder Juden", lamentiert in der Zeitung "Magyar Hirlap" László Csizmadia, ein weiterer Organisator der Massendemonstration und Vorsitzender des Dachverbandes FIDESZ-naher NGOs.

Hallo, schon wieder ein Fall von Verwechslung der Täter- und Opferrolle und Fehlinterpretation historischer Fakten? Auch in Ungarn gefällt sich offenbar die nationalistische Rechte als Opfer. Wie sich doch in Budapest und Wien Bilder beziehungsweise Worte in manchen Szenen gleichen.