Schluss mit Glitzer und Tequila: In "Skinny Sunrise" geht Urs Fischers Partymaus den Weg alles Irdischen - in Büßerpose hinweggerafft auf einer Parkbank.

 

Foto: Mats Nordman

Dämonisch züngelnde Flammen auf dem Wachs-Urs.

Foto: Feßler

Wien - Es gibt Kreaturen der Nacht, die bezahlen das Durchzechen bei Morgengrauen bitter. Und so muss man beim Anblick von Urs Fischers Plastik Skinny Sunrise einfach an einen anorektischen Vampir denken, der einen über den Durst getrunken hat und den nun das Sonnenlicht beim Marjaryasana, der yogischen Katze, überrascht und das letzte Stückchen Fleisch vom Leib fetzt. Kurzum: Fischer hat dem auf der Parkbank niedergebrochenen Skelett - das irgendwo anders auch seinen Fuß verloren haben muss - den Inhalt eines Staubsaugerbeutels drübergeleert - ein bisschen Flitter inklusive: Skinny Sunrise eben, wie der Titel seiner Personale in der Kunsthalle Wien (kuratiert von Angela Stief und Gerald Matt).

Es ist ein augenzwinkerndes und zugleich lustvolles Memento mori: lustvoll und lebenszugewandt wie der in New York lebende Schweizer Senkrechtstarter selbst. Tätowiert und rauchend, die Sonnenbrille auf die Stirn geschoben, das Hemd nur beiläufig zugeknöpft, präsentiert sich Fischer auf Fotos. Von bäriger Statur - seinem Vornamen Rechnung tragend - offenbart sich der Künstler als ein dem Genuss Frönender, als ein gutem Essen wie auch dem Alkohol nicht Abgeneigter. Die Familie (Tochter Lotti ist zweieinhalb) hat ihn gezähmt. Statt "carpe noctem" gilt nun "carpe diem".

Doch jede Daseinsfreude trägt ihr Gegenteil in sich. Und so inszeniert sich der 38-Jährige in Wien als lebensgroße Wachsskulptur, die gleich an mehreren Dochten brennt. Irgendwann wird die Figur, mit der Flasche vor sich am Tisch, zusammensacken. Sie wird vom Sessel kippen und dann einen ähnlich erbärmlichen Anblick bieten wie der Wachs-Rudolf-Stingel, den Fischer auf der Biennale Venedig platziert hatte.

Das Fleisch ist schwach

Dem Porträt seines Künstlerfreundes rutschte irgendwann im vergangenen Spätsommer der Kopf von den weichen Schultern. Gleich daneben verzehrten die Flammen eine überdimensionierte Paraffinnachbildung von Giambolognas spätbarockem Raub der Sabinerinnen: Trotz des gewaltvollen Themas ist die Gruppe wohl eines der lustvollsten und erotischsten Motive der Kunstgeschichte. Das Fleisch schmilzt. Das Fleisch ist schwach.

Ein passender Kunstkompagnon fände sich in der Wiener Schau in Mr. Moutard: Herr Senf ist in dem Bild zwar gar nicht zu sehen. Vielmehr bedrängt sein bestes Stück Wurst eine hinter einer Gurkenscheibe ausgeblendete Blondine. Mahlzeit, Herr Fischer!

"Ich will gutes Zeug machen. Da ist es besser, nicht zu viel zu reflektieren, bevor man handelt", verriet Urs Fischer in einem Interview. Er ist also ein Macher, kein Grübler. Und so suchte er für eine recht radikale Aktion 2007 auch nicht nach tiefschürfenden Erklärungen, sondern führte schlichtweg "Langeweile" als Grund an: Kurzentschlossen riss er den Boden seiner New Yorker Galerie (Gavin Brown) auf und bat die Besucher in die Grube: ein klaffendes Erdloch. Dagegen ist die eingerissene Wand in der Kunsthalle, in die Fischer ein archaisches Tor gesetzt hat, geradezu niedlich.

Der Durchgang verbindet nun ein Vanitas-Sinnbild mit einem anderen: den mit einer Art Geburtsschleim aus Silikon überzogen Obstkorb (The Human Layer, 1999) und die zwei auf Ästen drapierten Kerzen. Waagrecht an Ketten hängend ziehen sie ihre Kreise und hinterlassen dabei Spuren aus Wachs (Untitled - Branches), 2005). Würde sich die Installation nicht mit machistischem Rabaukentum paaren, man könnte sie poetisch nennen. In der Leiter, die zu Beginn des rasanten Überblicks über die vergangenen 15 Jahre steht, findet man diese tatsächlich. Der Schatten, den die Aufstiegshilfe wirft, ist bleibend - hat sich in Form von Latexfarbe an der Wand manifestiert.

Der eigene Ehrgeiz nervt den Angetriebenen jedoch manchmal. Und obwohl er dem Problem des Überall-zugleich-Seins mit dem Abschalten von Internet- und E-Mail-Funktion am Handy begegnet, hat er seine Kunst noch nicht verlangsamt. Schlag auf Schlag folgt eine Ausstellung der anderen. Edle Hallen folgen etwa im April: Dann wird Fischer im Palazzo Grassi in Venedig ausstellen.

Zuvor kommt allerdings noch Los Angeles: Sein hochkarätiger Galerist Larry Gagosian, der auch Jeff Koons, Damien Hirst und Georg Baselitz vertritt, lässt sein Pferdchen (Urs Fischer ist bereits jetzt einer der teuersten Schweizer Gegenwartskünstler) nächste Woche in der Stadt der Engel durchstarten. In Gagosians Schauen, die der Galerist dort jedes Jahr parallel zur Oscar-Verleihung inszeniert, zeigt man keine Ladenhüter: Fischer präsentiert Arbeiten, die mit den perfekt inszenierten Hollywood-Schönheiten der 1940er- und 1950er-Jahre spielen.

Und so werden die Preise des Schweizers vorerst wohl nicht in den Keller rasseln.   (Anne Katrin Feßler / DER STANDARD, Printausgabe, 17.2.2012)