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Wieder einmal könnte der menschliche Faktor ausschlaggebend für eine brenzliche Situation gewesen sein.

Foto: AP/Heimann

Berlin - Was in Österreich Anfang Februar aufhorchen ließ, war folgende Meldung: Aufgrund eines drohenden Engpasses bei der Stromversorgung haben vier deutsche Netzbetreiber  Reservekapazitäten in Österreich zurückgegriffen. Es handelte sich schon um den zweiten Zugriff in diesem Winter auf die sogenannte "Kaltreserve". Der Grund damals schien offensichtlich: Die Kältewelle trieben den Verbrauch eklatant in die Höhe. Jetzt könnte sich diese Annahme allerdings als Irrtum herausstelllen.

Das deutsche Stromnetz ist in den kalten Wintertagen möglicherweise durch riskante Handelsgeschäfte von einem Zusammenbruch bedroht gewesen, schreiben deutsche Medien einhellig. Laut "Berliner Zeitung" (Donnerstag) kritisierte die in Deutschland zuständige Bundesnetzagentur in einem Schreiben, dass es zu gefährlichen Defiziten im Stromnetz gekommen sei. Darin heiße es, das deutsche Stromnetz habe seit dem 6. Februar zu unterschiedlichen Tageszeiten "erhebliche, über mehrere Stunden andauernde Unterdeckungen verzeichnet".

Vor dem Blackout

Im Störungsfall - etwa wenn ein Kraftwerke ausgefallen wäre - hätte das Netz kollabieren können. Nun wird die Sache laut der Aufsichtsbehörde untersucht. Die Aufsicht sprach von einer sehr ernsten Situation. Kolportiert wird nun folgende Variante: Kosten für extrem hohe Börsen-Strompreise infolge der langanhaltenden Minusgrade sollten gespart werden. Konkret geht es darum, dass Hunderte Stromhändler für Großverbraucher und Versorger den Strom zukaufen, der gerade benötigt wird. Sie schätzen dabei anhand von Erfahrungswerten ab, wie viel Strom gebraucht wird. Weil durch eine enorme Nachfrage, etwa auch in Frankreich, der Strompreis an der Börse auf teils weit über 350 Euro für die Megawattstunde hochschnellte, besteht der Verdacht, das die Händler Kosten sparen wollten und die Prognosen entsprechend kleinrechneten.

Höhere Nachfrage - weniger Strom

Weil aber durch eine höhere Nachfrage zu wenig Strom vorhanden war, musste über die für Notfälle als Absicherung des Systems vorgesehene Regelleistung zurückgegriffen werden, die mit Kosten von rund 100 Euro je Megawattstunde deutlich billiger ist. Diese Kosten werden den Stromhändlern im Nachhinein berechnet.

Wenn keine Regelleistung mehr vorhanden ist, gibt es kaum noch Spielräume, einen Ausfall von Kraftwerken aufzufangen. In einem Schreiben des Übertragungsnetzbetreibers 50Hertz, das der Deutschen Presse-Agentur vorliegt, heißt es: "Insbesondere im Zeitraum vom 6. bis 9. Februar wies die Systembilanz von Deutschland eine deutliche, jeweils mehrere Stunden lang anhaltende Unterdeckung auf."

Die deutsche Grünen-Energiepolitikerin Ingrid Nestle findet das eher ungustiös: "Offensichtlich zocken Stromhändler mit unserer Versorgungssicherheit." Die Regierung habe es unterlassen, solche Manipulationen zu verhindern. "Solange die Bundesregierung nicht für ein permanentes Monitoring sorgt, bleibt das Tor für Marktmanipulationen weit offen. Wir brauchen eine konsequente Markt- und Netzüberwachung", forderte Nestle. (APA/red, derStandard.at, 16.2.2012)