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Christian Wulff vor der Presse.

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Wordle der Rede.

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Berlin - Zum zweiten Mal binnen knapp zwei Jahren hat ein deutscher Bundespräsident sein Amt vorzeitig aufgegeben. Mit seinem Rücktritt reagierte Bundespräsident Christian Wulff am Freitag in Berlin auf die Entscheidung der Staatsanwaltschaft Hannover, die Aufhebung seiner Immunität wegen des Verdachts auf Vorteilsnahme zu beantragen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bot SPD und Grünen an, gemeinsam über einen Nachfolgekandidaten zu beraten.

Deutschland benötige einen Präsidenten, "der vom Vertrauen nicht nur einer Mehrheit, sondern einer breiten Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger getragen wird", sagte Wulff in seiner Rücktrittserklärung in Schloss Bellevue. "Die Entwicklung der vergangenen Tage und Wochen hat gezeigt, dass dieses Vertrauen und damit meine Wirkungsmöglichkeiten nachhaltig beeinträchtigt sind." Deshalb könne er das Amt nicht mehr so wahrnehmen, "wie es notwendig ist".

Merkel sucht "gemeinsamen Kandidaten"

Union und FDP wollten auf SPD und Grüne zugehen und "Gespräche führen mit dem Ziel, in dieser Situation einen gemeinsamen Kandidaten für die Wahl des nächsten Bundespräsidenten" vorzuschlagen, sagte Merkel im Anschluss an Wulffs Rücktritt gegenüber den Medien. FDP-Chef Philipp Rösler kündigte an, die Koalition werde sich zunächst auf einen Kandidaten verständigen "und danach auf die anderen Parteien zugehen". Nach Angaben aus Koalitionskreisen war zunächst ein Treffen der Parteispitzen von CDU, CSU und FDP für Samstag geplant.

Bei der Suche nach einem Nachfolger will die Kanzlerin damit offenbar von ihrem früheren Vorgehen in solchen Fällen abweichen. Hatte sie Wulff und dessen ebenfalls vorzeitig zurückgetretenen Vorgänger Horst Köhler noch gegen die Opposition durchgesetzt, strebt sie nun eine Konsenslösung mit der SPD und den Grünen an.

SPD "bereit für Neuanfang"

Die beiden Oppositionsparteien begrüßten Merkels Angebot. "Die SPD steht bereit für einen Neuanfang", sagte Parteichef Sigmar Gabriel zu bild.de. SPD und Grüne warnten allerdings die Regierungskoalition vor einer "Vorfestlegung auf einen Kandidaten", wie der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann, sagte. Die Linke, die Merkel in ihrer Ankündigung einer parteiübergreifenden Kandidatensuche nicht genannt hatte, forderte ein Mitspracherecht. Laut Regierungssprecher Steffen Seibert sieht die Kanzlerin allerdings keine ausreichende Basis dafür. Die Koalition wolle auf jene Oppositionsparteien zugehen, "mit denen es die größten Übereinstimmungen in den politischen Grundüberzeugungen gibt", hieß es am Freitag in Berlin.

Wulff zeigte sich in seiner Rücktrittserklärung überzeugt, dass die bevorstehende rechtliche Klärung der Vorwürfe "zu einer vollständigen Entlastung führen wird". Er habe sich in seinen Ämtern "stets rechtlich korrekt verhalten", versicherte er. "Ich habe Fehler gemacht, aber ich war aufrichtig." Kritik übte Wulff an den Medien: "Die Berichterstattungen, die wir in den vergangenen Monaten erlebt haben, haben meine Frau und mich verletzt."

Kein Schutz vor Strafverfolgung

Mit seinem Rücktritt vom Amt des Bundespräsidenten genießt Wulff auch keinen besonderen Schutz vor Strafverfolgung mehr. "Mit dem Ende der Amtszeit ist die Immunität aufgehoben", sagte ein Sprecher des Justizministeriums am Freitag in Berlin. Das gelte unabhängig vom Grund für das Ende der Amtszeit. Damit habe sich auch der Antrag auf Aufhebung der Immunität erledigt, fügte der Ministeriumssprecher hinzu.

Nach Wulffs Rücktritt übernahm Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) in seiner Eigenschaft als Präsident des Bundesrats automatisch kommissarisch die Amtsbefugnisse des Bundespräsidenten. Die im Grundgesetz vorgesehene Vertretungsregelung gilt so lange, bis ein neuer Präsident sein Amt angetreten hat. Um diesen zu wählen, muss binnen 30 Tagen die Bundesversammlung zusammentreten.

Die Nachfolge-Kandidaten

Als aussichtsreiche Nachfolger für das Amt des Bundespräsidenten werden gehandelt: Verteidigungsminister Thomas de Maizière, Finanzminister Wolfgang Schäuble, Arbeitsministerin Ursula von der Leyen, Bundestagspräsident Norbert Lammert, Ex-Umweltminister Klaus Töpfer (alle CDU) und der 2010 gegen Wulff unterlegene frühere DDR-Bürgerrechtler Joachim Gauck. Auch der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, wurde genannt.

Die Staatsanwaltschaft Hannover hatte am Vorabend beim Bundestag die Aufhebung der Immunität Wulffs beantragt, um ein Ermittlungsverfahren wegen möglicher Vorteilsannahme einleiten zu können. Es geht dabei um Wulffs Beziehungen zu dem Filmproduzenten David Groenewold. Dieser soll Berichten zufolge unter anderem 2007 dem damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten einen Sylt-Urlaub bezahlt haben. Es war das erste Mal, dass die Immunität eines deutschen Staatsoberhaupts aufgehoben werden sollte.

Unterdessen berichtete das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" im Voraus, die deutsche Finanzaufsicht BaFin prüfe auch die Rolle Wulffs beim Übernahmekampf der Autobauer Volkswagen und Porsche. Es geht dabei um einen möglichen Verstoß gegen das Wertpapierhandelsgesetz, da Wulff sein Wissen um die Pläne Porsches bezüglich VW nicht in einer Ad-hoc-Meldung - einer Börsen-Pflichtmitteilung - öffentlich gemacht hatte. (APA/Reuters)