Barbara Maier (links) ist Primaria für Gynäkologie und Geburtshilfe im Hanusch-Krankenhaus in Wien. Sie ist Mitglied der Bioethik-Kommission und berät das Gesundheitsministerium.

Katharina Leitner-Dziubas ist Leiterin der Psychosomatischen Frauenambulanz der Klinik für Psychoanalyse und Psychotherapie an der Uni-Klinik für Frauenheilkunde der Med-Uni Wien.

Foto: Heribert Corn http://www.corn.at

STANDARD: Die Geburt von Fünflingen nach einer Hormonstimulation sorgte vor kurzem im Wiener AKH für Aufregung. Werden Mehrlingsschwangerschaften häufiger?

Maier: Ja. Das ist unter anderem den Fortschritten der Reproduktionsmedizin zuzurechnen. In einer Studie haben wir festgestellt, dass der Anteil der Mehrlingskinder nach assistierter Fortpflanzungshilfe bei 48,5 Prozent liegt. Bei spontanen Schwangerschaften gibt es hingegen nur ein bis zwei Prozent Zwillinge, die Zahl der Drillinge liegt im Promillebereich. Das gibt zu denken. In der Reproduktionsmedizin sollte eine Mehrlingsschwangerschaft nicht als Erfolg gesehen werden, sondern als Komplikation.

STANDARD: Was sind die Probleme?

Maier: In den Medien lesen wir nur von jenen Drillingen oder Fünflingen, die gesund zur Welt kommen. Oft sind sie das leider nicht. Bei Mehrlingsschwangerschaften ist das Risiko einer Frühgeburt deutlich erhöht. Je höhergradig die Mehrlinge, desto früher ist eine Geburt zu befürchten. Drillinge kommen durchschnittlich in der 32. Schwangerschaftswoche zur Welt, aber auch viel früher, und sind dann monatelang auf der neonatologischen Intensivstation zu versorgen. Das führt dort zu Engpässen. Österreich hat eine Frühgeburtenrate von elf Prozent. Der europäische Schnitt liegt bei sieben, in manchen Ländern sogar bei fünf Prozent. Da besteht dringender Handlungsbedarf.

Leithner-Dziubas: Mehrlingsschwangerschaften fordern eine viel intensivere Betreuung - sowohl in medizinischer als auch in psychosozialer Hinsicht. Die Gefahr, einen oder mehrere Föten zu verlieren, ist groß. Oft müssen sich die Schwangeren auch entscheiden, ob sie alle Mehrlinge austragen wollen, und damit die Gefahr eingehen, dass ein Fetus auf Kosten der anderen unterversorgt wird. Das ist eine extrem schwierige Entscheidung für die Eltern. Besonders hart ist sie für Frauen, die nach jahrelangem Kinderwunsch endlich schwanger sind. Ein Fetozid ist eine äußerst belastende psychische Situation. Auch Depressionen und Überforderungssymptome der Mütter sind nach Drillingsgeburten häufiger.

STANDARD: Wie kann man Paare in dieser Situation unterstützen?

Leithner-Dziubas: Psychologische Beratung ist sehr wichtig, sowohl in der Phase des Kinderwunsches als auch während der Schwangerschaft und nach der Geburt. Sie hilft Paaren, auch ambivalente Gefühle zuzulassen. Laut Studien berichten Frauen, die mithilfe künstlicher Methoden schwanger geworden sind, viel seltener über körperliche und psychische Beschwerden. Sie neigen dazu, die Schwangerschaft zu idealisieren. Es ist aber wichtig, auch negative Gefühle dem Kind gegenüber zulassen zu können. Paare mit einem sehr dringenden Kinderwunsch wollen oft nichts über Risiken hören. Sie entscheiden sich häufig gegen eine Beratung, weil sie befürchten, ihr Kinderwunsch würde dabei infrage gestellt.

Maier: Bei der künstlichen Befruchtung bestehen manche Paare darauf, zwei oder mehr Embryonen eingesetzt zu bekommen, um die Chancen für eine Schwangerschaft zu erhöhen. Wir Ärztinnen müssen ihnen mögliche Konsequenzen oft sehr drastisch erklären - vor allem das medizinische Risiko für die Mutter und jedes einzelne der Kinder. Das Ziel einer verantwortungsvollen künstlichen Befruchtung muss das Einlingbaby am Termin sein.

STANDARD: In Ländern wie Schweden ist nur der Transfer eines einzigen Embryos erlaubt. Wäre das eine sinnvolle Vorgabe?

Maier: Ich halte das für zu strikt. Manchmal kann der Transfer eines zweiten Embryos durchaus sinnvoll sein. Aber mehr als drei einzusetzen ist nicht nur unnötig, sondern ein medizinischer Behandlungsfehler.

Leithner-Dziubas: Es ist verständlich, dass Paare mit einem sehnlichen Kinderwunsch die Chancen mit mehreren Embryonen erhöhen wollen. Der Druck, ein Kind zu bekommen, ist groß. Die Aufgabe der behandelnden Ärzte ist es, vertretbare Grenzen zu finden.

STANDARD: Spielen beim Transfer mehrerer Embryonen auch finanzielle Überlegungen mit?

Maier: In Österreich gibt es den IVF-Fonds, der einen großen Teil der Kosten der In-vitro-Fertilisation für maximal vier Versuche trägt. Es sollte ein Single-Embryo-Package ermöglicht werden, bei dem die verfügbaren Embryonen nicht gleichzeitig, sondern seriell hintereinander eingesetzt werden. Das sollte als ein Versuch abgerechnet werden können.

STANDARD: Der unerfüllte Kinderwunsch ist ein gutes Geschäft. Wie seriös sind die Anbieter?

Maier: Paare, die sich sehnlich ein Kind wünschen, sind bereit, viele Unannehmlichkeiten und Risiken auf sich zu nehmen. Und sie glauben gerne denjenigen, die ihnen Erfolg versprechen. Wir wissen in Österreich allerdings viel zu wenig über die tatsächlichen Ergebnisse. Bekannt sind nur die Schwangerschaftsraten von Behandlungen, die über den IVF-Fonds finanziert wurden. Seit 2010 erfassen wir auch die Baby Take Home Rate. Damit werden wir in Zukunft wissen, wie viele Kinder tatsächlich auf die Welt kommen. Zu den privat bezahlten IVF-Interventionen und zu Hormonstimulationen gibt es keine Zahlen. Eine Meldepflicht für alle Schwangerschaften und Geburten aus der assistierten Fortpflanzungshilfe wäre wichtig, um die Ergebnisse überblicken zu können.

STANDARD: Welche Motive stecken hinter einem drängenden Kinderwunsch?

Leithner-Dziubas: Primär nimmt jeder Mensch von sich an, fruchtbar zu sein. Das Ausbleiben einer Schwangerschaft stellt für viele eine massive Kränkung des Selbstwertgefühls dar. Oft geht dies auch mit Schuld- und Schamgefühlen einher - bewusst oder unbewusst. Motive können vielfältig sein, zum Beispiel eine Schwangerschaft erleben zu wollen oder einem Mann ein Kind zu schenken und damit auch die Beziehung zu festigen. Der unbedingte Wunsch, schwanger werden zu können, muss nicht immer mit dem Wunsch einhergehen, mit einem Kind leben zu wollen. Manche Frauen, die nach sehr vielen Versuchen endlich ein Baby erwarten, sind dann völlig überrascht. Sie haben nie weiter als bis zum Eintritt der Schwangerschaft gedacht.

STANDARD: Ist das Kinderkriegen schwieriger geworden?

Maier: Wenn es schwer ist, adäquate Kinderbetreuung zu bekommen, dann wird sich eine gut ausgebildete Frau zunächst einmal im Beruf verwirklichen. Wenn sie dabei den biologischen Altersaspekt übersieht, ist die Verwirklichung des Kinderwunsches erschwert. Hier kann die Medizin helfen. Aber wäre es nicht sinnvoller, sich um die Erhaltung der reproduktiven Gesundheit zu kümmern und die Kinderwunschverwirklichung für jüngere Frauen mit adäquaten sozialen Hilfestellungen attraktiv zu machen?

Leithner-Dziubas:  Es macht einen sehr großen Unterschied, sich bewusst zu entscheiden, kein Kind zu wollen oder keines bekommen zu können. Für viele Frauen wird es spätestens in einem bestimmten Alter zu einem sehr dringenden Bedürfnis.

STANDARD: Die Reproduktionsmedizin kann heute schon sehr viel - ist das ein Fluch oder ein Segen?

Leithner-Dziubas: Wir haben heutzutage das Gefühl, dass in der Medizin alles möglich ist. Es erscheint mir aber auch wichtig, sich damit auseinanderzusetzen, was nicht möglich ist, und darüber Trauerarbeit zu leisten. Und zu sehen, dass sich daraus ja auch wieder neue Möglichkeiten entwickeln können.

Maier: Wir sollten die Errungenschaften der modernen Medizin nutzen, aber auch offen über die Risiken diskutieren. Wir brauchen in der Reproduktionsmedizin ein Qualitätsmanagement, das das Wohl der Kinder ins Zentrum stellt und nicht nur die Kinderwunscherfüllung. (Andrea Fried, DER STANDARD, Printausgabe, 20.2.2010)