Der Ausgang der Volksabstimmung in Polen hat zu Recht ein, für manche Beobachter vielleicht überraschend, starkes internationales Echo ausgelöst. Das Votum für den Beitritt zur EU war freilich in erster Linie ein Votum für Polens Zukunft.

Das weitaus größte Land unter den Beitrittskandidaten (mit mehr als der Hälfte ihrer Gesamtbevölkerung und mit fast der Hälfte ihres gesamten Bruttosozialproduktes) hat mit wünschenswerter Deutlichkeit gesprochen. Trotz aller Befürchtungen wurde mit einer Wahlbeteiligung von 59 Prozent sowohl Ungarn (45 Prozent), wie auch die Slowakei (52 Prozent) weit übertroffen. Die Vorgänge in den letzten Wochen zeigten vor aller Welt, welch große Bedeutung dem polnischen Referendum für die europäische Zukunft beigemessen wurde.

Man kann ohne Übertreibung sagen, dass die internationale Rückendeckung für eine massive EU-Werbekampagne beispiellos war. Die Regierungschefs Deutschland und Großbritanniens, Schwedens und Dänemarks, der Präsident und der Erweiterungskommissar der EU-Kommission reisten nach Polen, um für den Beitritt zu werben.

Meinungsforscher sahen übrigens den Anfang des Umschwungs bereits am 19. Mai, als Papst Johannes Paul II. in einer Ansprache an 20.000 polnische Pilger in Rom die Polen aufforderte, an der Volksabstimmung teilzunehmen und mit Ja zu stimmen. Es waren seine mahnenden Worte, die die apathischen und von der Entwicklung tief enttäuschten Wähler doch im letzten Augenblick aufgeschreckt haben.

Erinnern wir uns doch daran, dass bei den letzten Wahlen bloß eine Beteiligung von 46 Prozent registriert wurde, dass 80 Prozent der Polen die Politiker für korrupt und inkompetent halten und dass derzeit nur 10 bis 15 Prozent der Bevölkerung die jetzige Regierung Miller unterstützen. So eine katastrophale Note hat seit der Wende noch keine Regierung bekommen.

Der einstige Schrittmacher der Wirtschaftsreformen ist zu einer Nachhut Mitteleuropas geworden. Die Arbeitslosigkeit erreicht fast 20 Prozent und der bewunderte Modernisierungsschub versiegte in der stickigen Atmosphäre allgemeiner Korruption und Inkompetenz. In diesem Sinne haben die Polen nicht wegen sondern trotz der zuweilen penetranten pro-EU Kampagne der diskreditierten Regierung für die Europäisierung gestimmt. Sie hoffen gerade durch den EU-Beitritt die Korruption und die oft von der alten Nomenklatura beherrschten Netzwerke mit ihren undurchsichtigen Entscheidungsabläufen entschlossener bekämpfen zu können.

Die offiziell nicht veröffentlichten Mahnschreiben der Monitoren der EU Kommission lassen klar erkennen, dass kein Kandidat vor dem Beitritt so viele Hausaufgaben (von der Anpassung der Rechtsvorschriften bis zur Vernetzung der Zollcomputer und zur Verteilung der Brüsseler Subventionen) zu erledigen hat, wie Polen. Trotzdem sind die üblichen polenfeindlichen Klischees und die herablassenden Kommentare mancher frisch gebackener westlicher "Experten" fehl am Platz.

Polen ist vielleicht der einzige diplomatische Gewinner des Irak-Krieges. Kein Pole vergisst, dass sein Staat nach dem Ersten Weltkrieg seine Existenz dem Drängen des US-Präsidenten Woodrow Wilson verdankte und dass nur der Druck der amerikanischen Supermacht den Zusammenbruch des verhassten sowjetischen Kolonialreiches bewirkte. Polen wird in der EU ein selbstbewusster und unbequemer Akteur und zugleich ein transatlantischer Brückenbauer sein. Die Schattenseiten der postkommunistischen Gesellschaft können aber nur die polnischen Demokraten, nicht die Freunde in Brüssel oder Washington, beseitigen.(DER STANDARD, Printausgabe, 12.6.2003)