Polizei sicherte Prüflingen Zugang
An Schulen in den südfranzösischen Städten Toulouse, Avignon, Marseille, Nizza und dem korsischen Bastia sicherte Bereitschaftspolizei den Prüflingen den Zugang und verhinderte Blockadeaktionen streikender Lehrer. Die Gewerkschaften im Erziehungswesen, die seit Monaten auch gegen Dezentralisierungspläne mobil machen, haben einen ordnungsgemäßen Ablauf der Reifeprüfungen zugesichert. Bildungsminister Luc Ferry und Staatspräsident Jacques Chirac lobten die "verantwortungsbewusste" Haltung der meisten Lehrer.
Schultore zugekettet
Allerdings ketteten Lehrer in Roanne (Zentralfrankreich) und in Avignon Schultore zu. Mancherorts beteiligten sich Pädagogen an Straßenblockaden. Die Staatsbahn SNCF setzte Sonderzüge für die Maturanten ein, die am Donnerstag ihre Philosophie-Prüfungen ablegen sollten. Den mehr als 500.000 betroffenen Maturanten wurde ausnahmsweise erlaubt, bis zu zwei Stunden verspätet bei der Prüfung zu erscheinen.
Großdemonstration
In der südfranzösischen Metropole Marseille riefen Gewerkschaften zu einer Großdemonstration auf, an der sich die nationalen Chefs der bedeutendsten Arbeitnehmerorganisationen beteiligten. Erneut fuhren in der Hafenstadt nur wenige Busse und Straßenbahnen. Die Feuerwehrleute mussten bereits mehr als hundertmal einschreiten, um Müllbrände zu löschen. Der Bürgermeister Jean-Claude Gaudin, von Raffarins Regierungspartei UMP sagte, die Situation sei nicht länger zu ertragen. Es machten sich Ratten breit und es gebe eine Masern-Epidemie in der Stadt, erklärte Gaudin im Radio Europe-1. Er wolle die Armee einsetzen, um zumindest gewisse Straßen vom Müll befreien zu lassen.
Öffentlicher Verkehr verlief unregelmäßig
Insgesamt kündigte die SNCF am Donnerstagvormittag die regelmäßige Abfahrt von zwei Drittel der Züge an. Die Linie Paris-Toulouse, sowie bei einigen Linien der Pariser S-Bahnen gab es Verspätungen, weil einige Streikteilnehmer den Bahnhof von Juvisy-su-Orge (Essonne) bei Paris besetzten. In Paris selbst fuhren nach Angaben des Verkehrsverbundes RATP 75 Prozent der Busse. In der U-Bahn verlief der Verkehr unregelmäßig. Laut Verkehrsmeldezentrale häuften sich in der Pariser Region am Vormittag 230 Kilometer Staus an.
Unterstützung aus England
Chirac stellte sich hinter die Regierung. Ohne Reformen entstünden Ungerechtigkeiten, die den "republikanischen Pakt" bedrohten, sagte er in Toulouse. Auch der britische Premierminister Tony Blair unterstützte den "persönlichen Mut" des Liberalkonservativen Raffarin. "Wir versuchen alle, unseren öffentlichen Dienst und die Sozialleistungen mit den Erfordernissen der modernen Welt in Einklang zu bringen", erklärte Blair. Das erfordere sehr schwere Entscheidungen. Raffarin greife diese Herausforderungen auf.
54 Prozent solidarisch mit Proteststreiks
Einer am Donnerstag veröffentlichten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts IPSOS zufolge gaben sich 54 Prozent der Franzosen mit den gegenwärtigen Proteststreiks der Lehrer gegen die Pensionsreform und die Dezentralisierung im Schulwesen "solidarisch". 44 Prozent sind gegen die Proteste, zwei Prozent haben keine Meinung. Allerdings sprachen sich 78 Prozent gegen einen Boykott der Maturaprüfungen aus.